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berufen ist, demselben freien Spielraum zu bieten, ja ihm
als Muster zu dienen.
In demselben Jahre fiengen auch die Verhandlungen über dieses
Princip in den österreichischen Ländern sich ziemlich laut zu äußern
an, und der Minister Bach z. B. war Einer der Ersten, die am
Wiener Reichstage schöne Worte über jene Gleichberechtigung
sprachen, wiewohl er nicht allzusehr geneigt war, die Forderungen
derselben praktisch durchzuführen. Nichtsdestoweniger wurde dieses
Princip in unserem Sinne und nach unserer Anschauung in das
damalige Miuifterprogramm aufgenommen, aus dem es jedoch nach
und nach zugleich mit anderen liberalen Grundsähen verschwand, als
man für gut fand, abermals mehr oder minder absolut zu herrschen.
In der sogenannten Bach'schen Periode wurde zwar das
Princip der nationalen Gleichberechtigung nie ausdrücklich von
Oben negirt, dafür erhielt ein anderer, mit demselben unver-
trägliche, ja ihm vollständig widerstrebende Grundsatz in der Praxis
und Theorie eine immer entschiedenere Geltung: es war dies die
Lehre vom Tragen der deutschen Cultur nach Osten. Hätte man
diese Lehre ehrlich aufgefaßt, wären die Prediger derselben den
Aposteln ähnlich gewesen, die da den h. Geist empfiengen, um das
Evangelium den verschiedenen Böllern in deren Muttersprache zu
verkünden (siehe Werke der Apostel, Cap. 2.), so hätte man gegen
ihr Beginnen nicht nur nicht viel einwenden können, sondern man
hätte es vielleicht sogar dankbar aufgenommen; aber selbst Kinder
sahen es allsogleich ein, daß es ein bloßer Euphemismus war, mit
dem nur das Streben bemäntelt werden sollte, die deutsche Natio«
nalitüt auf jene Stufe zu erheben, wo sie die übrigen Nationalitüten
nicht nur beherrschen, sondern auch allmählig untergraben und
endlich vollends vernichten könnte. Sollte ja doch die gesammte
Cultur d. i. die gesammte geistige Bildung und daher auch das
gesammte geistige Leben ausschließlich an die deutsche Sprache ge-
bunden werden, worauf natürlich früher oder später das Absterben
der übrigen Nationalitäten erfolgen müßte. So lange die Völker
kein Selbstbewußfein und lein entwickeltes nationales Leben be-
saßen, so lange sie ihre nationale Wesenheit nicht für etwas
Theueres und Wünschenswerthes hielten und nicht gesonnen waren
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Buch Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Titel
- Österreichs Staatsidee
- Autor
- Franz Palacký
- Verlag
- I. L. Kober Verlag
- Ort
- Prag
- Datum
- 1866
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 14.7 x 21.5 cm
- Seiten
- 110
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918