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auch überall praktisch durchgeführt wird, wo es nicht die Grenzen
der Möglichkeit überschreitet.
Sind ja die Bedürfnisse der Nationen, nach der verschiedenen
Stufe ihrer Bildung, historischer Tradition, den Sitten und Be-
schäftigungen, ja ihrer Lage und ihrem Klima selbst so verschieden,
daß eine gleichförmige Behandlung derselben sogar unstatthaft und
fchädllch wäre. Zudem find die Nationen selbst in der That
immer konservativer, als sie zu fein scheinen, und in ihrem Willen
pflegt wohl lein plötzliches, nach Theorien durchgeführtes Umändern
ihres bisherigen Lebens zu liegen. Daher mögen die Abgeordneten
und Gefetzgeber der zahlreichen Böller Öfterreichs zusammenkommen
und einzeln in verschiedenen, mehr oder weniger homogenen Grup-
pen Berathungen Pflegen; sie werden wohl auch in drei Sprachen
tagen können, wie z. B. in den siebenbürgifchen Ländern magya-
risch, deutsch und rumänisch, in den füdslavischen Ländern slavisch,
deutsch und italienisch, in der böhmischen Krone böhmisch und
deutsch, in Gallzien polnisch und ruthenifch u. f. w. So werden
sie ihre verschiedenartigen Bedürfnisse bei weitem besser besorgen,
als wenn dieselben in einer allgemeinen Versammlung stets nur
gleichsam auf einen Leisten geschlagen werden sollten.
Freilich öffnet sich hier ein weites Gebiet zu neuen Contro-
versen. Welche und wie beschaffen sollen diese Gruppen in «mersto
sein? was soll ihre gemeinsame Grundlage sein, die Sprache oder
die Geschichte, die geographische Lage und Nachbarschaft oder die
Übereinstimmung in ihren geistigen und materiellen Bedürfnissen?
Sind auch solche historisch.politische Individualitäten, wie z. B.
Schlesien, die Bukowina, Salzburg usf. kräftig genug, um selbst-
ftändige Gruppen bilden zu können?
Als ich auf das Ersuchen des verstorbenen Karl Hawliiek,
am Schlüsse des I. 1849 meinen Artikel „Über Centralisation
und nationale Gleichberechtigung in Österreich" in den , l l i -
rosul Hovm?« veröffentlichte, der zu seiner Zeit viel von sich
sprechen machte, versuchte ich es, jene Gruppen auf rein ethno-
graphifcher Grundlage zu bilden. Wie die Sachen damals stan-
den, schien mir dieser Modus mit weniger Unzukömmlichkeiten
verbunden zu sein und auch directer zur Befriedigung der realen
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Buch Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Titel
- Österreichs Staatsidee
- Autor
- Franz Palacký
- Verlag
- I. L. Kober Verlag
- Ort
- Prag
- Datum
- 1866
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 14.7 x 21.5 cm
- Seiten
- 110
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918