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des einstigen polnischen Reiches — dies sind dann unsere Aus-
sichten. Die Einheit des Reiches aufgeben, heißt so viel, wie die
Untheilbarkeit desselben aufgeben. Und wenn nun solche Ereignisse
wirklich eintreten sollten, wer kann dermal schon ihre Richtung,
Tragweite und ihr Ende absehen? Wäre Öfterreich in einem
solchen Momente sich selbst überlassen und würde dieser historische
Staat noch genug Lebenskraft in sich fühlen, dann müßten ihn in
kurzer Zeit die Macht der Verhältnisse und der Instinkt der Er-
haltung gewiß wieder dahin führen, die leichtsinnig verschleuderte
Einheit von neuem wieder mit Blut zu verkitten, mit Bajonetten
zusammenzuschweißen und mit den Ketten des Absolutismus zu-
sammenzuschmieden. Wie lange jedoch können auch solche Bande
bestehen? Und wer kann mit Bestimmtheit sagen, daß dann Öster-
reich eine solche Krankheit in und für sich allein wird durchmachen
können? Wer sieht nicht, daß es rings von Feinden umgeben ist,
daß sogar seine Bundesgenossen nicht zögern würden, sich allenfalls
vor feinem Tode noch um fein Erbe zu theilen?"
„Die Convulsionen, die im eigenen Leibe Öfterreichs sich
einstellen müssen, wenn es sich um Sein oder Nichtsein ganzer
Nationen in ihm handeln würde, würden gewiß so mächtig fein,
daß sie sich dem gesammten Europa mlttheilen würden — denn
dann würde es sich gewiß zugleich auch um das Sein oder Nicht-
fein Österreichs handeln. Darüber würde dann gewiß das ge«
fammte Meer der europäischen Politik in furchtbaren Sturm ge«
rathen und über das Schicksal Österreichs und daher auch das
unserer Nation würden dann ganz andere Factoren und Stimmen
entscheiden, als jene, die sich jetzt das Recht und die Gewalt an-
maßen über unsere Zukunft abzusprechen. Würde ein solcher Sturm
erbraufen, dann möchten gewiß in dem moralischen Sumpf der
Wiener Journalistik alle die Frösche verstummen, die jetzt in sicherer
Windstille die Umgebung mit ihrem Geschrei belästigen und sich
so breit machen, daß man sie für den Augenblick mehr hürt als
Alles andere. In solchen Zeiten sprechen nicht mehr Journalisten
allein, noch entscheiden auch die Bureauf allein, sondern die
Völker selbst, die sonst passiv zu sein Pflegen, sprechen dann ge-
waltig und wohl verständlich ihren Willen au« und e« ist
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Buch Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Titel
- Österreichs Staatsidee
- Autor
- Franz Palacký
- Verlag
- I. L. Kober Verlag
- Ort
- Prag
- Datum
- 1866
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 14.7 x 21.5 cm
- Seiten
- 110
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918