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Ebenso wenig gilt die Ausrede, daß ja im Centralrathe Männer
aus verschiedenen Ländern, Ständen und Nationen sitzen: denn
ihre vereinzelten Stimmen müssen in dem Strome nach Verallge-
Meinung, der in jedem Collegium herrscht, untergehen, falls sie ja
nicht schon von vorherein gewohnt sind, einer solchen Strömung
nachzugeben. Was vom Schulwesen gilt, gilt in ganz demselben
Maaße auch von dem Gerichtswesen; die Verschiedenheit in den
Charakteren, den ererbten Anschauungen und Gewohnheiten, ja
selbst in den Leidenschaften und Perbrechen, verlangt in den ver-
schiedenen Ländern einen verschiedenen Grad von Wachsamkeit und
Strenge der Strafgesetze, usf.
Es ist freilich keine leichte Aufgabe, die Bertheilung der Lan-
desregierungen und Parlamente in cwnorvto festzustellen und die
Grenzen ihres Wirkungskreises bis in's Detail zu bestimmen; be-
fonders schwierig ist sie für einen Mann, der im Regieren keine
praktischen Erfahrungen besitzt. Doch soll und kann ja meiner
Ansicht nach ihre Durchführung nicht einseitig nach dem Willen
irgend einer Einzelnperson, sondern nach dem gemeinschaftlichen
Willen und der allseitigen Vereinbarung und Übereinstimmung aller
betreffenden Parteien bewerkstelligt werden; so verlangen es wenig-
stens der Geist und die ausdrücklichen Worte des Oktoberdiploms.
Daher erlaube auch ich mir, natürlich ohne Jemanden praejudi-
ciren zu wollen, nur einige Gedanken mitzutheilen, die Stoff zu
weiteren Erhebungen bieten könnten.
Ich bin der Meinung, daß es überaus nützlich wäre, bei der
Einrichtung der verschiedenen Regierungsorganismen der einzelnen
Länder die alte ungarische Verfassung als Beispiel zu nehmen;
ich hätte als Muster gesagt, wenn nicht im Laufe der Zeit Vieles
in ihr Aufnahme gefunden hätte, was weder in Ungarn zu er-
neuern und zu loben, noch irgendwo nachzuahmen angezeigt wäre.
Dazu gehört z. B. der uralte Unterschied zwischen »uztio« und
»wisvrH eoutnbuonZ p!sb3," ferner die nunmehrige »diplomati-
sche" Herrschaft des einen Stammes über die übrigen, in der
letzten Zeit auch die Stellung des Palatins als eine« unverant-
wortlichen Vicelönigs; ferner auch die Sucht einiger Comitattver-
sammlungen, die so gern Republik spielen und auf verschiedene
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Buch Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Titel
- Österreichs Staatsidee
- Autor
- Franz Palacký
- Verlag
- I. L. Kober Verlag
- Ort
- Prag
- Datum
- 1866
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 14.7 x 21.5 cm
- Seiten
- 110
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918