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Band sie alle mit einander vereinigt. Die wahre Lebensader diesei
notwendigen Völkervereins ist die Donau; seine Centralgewalt
darf sich daher von diefem Strome nicht weit entfernen, wenn sie
überhaupt wirtsam fein und bleiben will. Wahrlich, efistirte der
österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müßte im Interesse
Europa's, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu
schaffen.
Warum sahen wir aber diesen Staat, der von der Natur und
Geschichte berufen ist, Europa's Schild und Hort gegen asiatische
Elemente aller Art zu bilden, — warum sahen wir ihn im kriti-
schen Momente, jedem stürmischen Anlauf preisgegeben, Haltungslos
und beinahe rathlos? — Weil er, in unseliger Verblendung, so
lange her die eigentliche rechtliche und sittliche Grundlage seiner
Existenz selbst verkannt und verlüugnet hat: den Grundsatz der voll-
ständigen Gleichberechtigung und Gleichbeachtung aller unter fei-
nem Scepter vereinigten Nationalitäten und Confessionen. Das
Völlerrecht ist ein wahres Naturrecht, kein Volk auf Erden ist be-
rechtigt, zu seinen Gunsten von feinem Nachbar die Aufopferung
seiner selbst zu fordern, keines ist verpflichtet, sich zum Besten des
Nachbars zu verläugnen oder aufzuopfern. Die Natur kennt keine
herrschenden, so wie keine dienstbaren Völker. Soll das Band,
welches mehre Völker zu einem politischen Ganzen verbindet, fest
und dauerhaft fein, fo darf keines einen Grund zu Befürchtung
haben, daß es durch die Vereinigung irgend eines feiner theuersten
Güter einbüßen werde, im Gegentheil muß jedes die sichere Hoff-
nung hegen, bei der Centralgewalt gegen allenfällige Übergriffe der
Nachbarn Schutz und Schirm zu finden; dann wird man sich auch
beeilen, diefe Centralgewalt mit so viel Macht auszustatten, daß
sie einen solchen Schutz wirksam leisten könne. Ich bin überzeugt,
daß es für Österreich auch jetzt noch nicht zu fpät ist, diefen Grund-
fatz der Gerechtigkeit, die 8acra aueora beim drohenden Schiffbruch,
laut und rückhaltlos zu proclamiren und ihm praktisch allenthalben
Nachdruck zu geben: doch die Augenblicke sind kostbar, möchte man
doch um Gottes willen nicht eine Stunde länger zögern! Metter-
nich ist nicht bloß darum gefallen, weil er der ärgste Feind der
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Buch Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Titel
- Österreichs Staatsidee
- Autor
- Franz Palacký
- Verlag
- I. L. Kober Verlag
- Ort
- Prag
- Datum
- 1866
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 14.7 x 21.5 cm
- Seiten
- 110
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918