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nen mit Recht und ohne Gewalt dictirt, und kann etwa durch
diese Gewalt Ruhe und Sicherheit des Staates befestigt werden?
Wir wollen hier vor der Hand nicht allzu streng untersuchen,
warum z. B. in Ungarn jetzt in allen Ämtern die deutsche Sprache
eingeführt wird; Ungarn befindet sich noch immer im Belagerungs-
zustande, der nicht unter normale konstitutionelle Zustände gerechnet
werden kann. Auch damit werden wir uns nicht eingehender be-
schäftigen, warum den böhmischen Ämtern vor einigen Monaten
der wechselseitige Gebrauch der böhmischen Sprache verboten wurde;
dieser in jeder Beziehung verfassungswidrige und unverzeihliche
Schritt scheint nur auf unconftitutionellen Wegen von der Regie-
rung erschlichen zu sein und wird hoffentlich für die neuen Ämter
keine Geltung haben, da er auch die Grenze überschreitet, die sich
das Ministerium selbst bei der Durchführung der Centralisation
gesteckt hat. Wir wollen nur die Verhältnisse in Erwägung ziehen,
die sich aus der Verfassung vom 4 März nothwendig und unum-
gänglich ergeben müssen.
Durch die Paragraphe 32 und 36 dieser Verfassung sind alle
höheren Bestrebungen der Völler und das gesammte parlamenta-
rische Leben an ein einziges Reichscentrum, den Reichstag, gebun-
den, da den Landtagen nichts anderes belassen wurde, als gewisse
Anordnungen über ihre inneren, minder wichtigen Angelegenheiten
zu treffen. Die Folge davon wird sein, baß dieses. Alles absorbi-
rende Lentrum entweder zu einer babylonischen Verwirrung führen
muß oder daß man eine einzige Sprache (z. B. die deutsche) äo
t»cto zur Centralsprache erheben wird. Dadurch werden aber alle
anderen Sprachen auf immer von jedwedem öffentlichen, parlamen-
tarischen Leben abgeschnitten.
Doch auch bei diesem einen Schlage wird man es nicht be-
wenden lassen; die Centralregierug, die sich dieser Sprache bedienen
wird, wird auf ähnliche Weise alle anderen Sprachen aus dem
gefammtm Bereiche der höheren Administration entfernen. Eine
solche Ungleichheit wird nicht nur alles Gerede über Gleichberech«
tigung der Völler von Grund aus widerlegen und eiteln Trug
als eine moralische Reichsbasis hinstellen; sie birgt auch Todes-
gefahr für alle die Nationen in sich, die außer Österreich ent«
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Buch Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Titel
- Österreichs Staatsidee
- Autor
- Franz Palacký
- Verlag
- I. L. Kober Verlag
- Ort
- Prag
- Datum
- 1866
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 14.7 x 21.5 cm
- Seiten
- 110
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918