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II. Kriegsende in
Österreich76
vor: Während es in den ersten Monaten des „Großen Vaterländischen Krie-
ges“ noch Gutmütigkeit und Leichtsinn gegenüber dem Feind gegeben habe,
seien die Soldaten nun durch die Gräueltaten, Plünderungen und Gewaltta-
ten der „deutsch-faschistischen Okkupanten“ an der Zivilbevölkerung und
den sowjetischen Kriegsgefangenen von dieser Krankheit geheilt. Sie hätten
gelernt, die „deutsch-faschistischen Okkupanten“ abgrundtief zu hassen, und
dabei verstanden, „dass man den Feind nicht besiegen kann, ohne ihn aus
ganzer Seele hassen gelernt zu haben“.36
Der Hass war häufig auch mit Spott – etwa in Form des „Winter-Fritz“,
einer Persiflage auf die für den russischen Winter mangelhaft ausgerüsteten
Wehrmachtssoldaten – verbunden. Der berühmte sowjetische Propagandist
Iľja Ėrenburg schrieb über das „russische Klima“ Ende Dezember 1941: „An
diesem Klima sterben jeden Tag Tausende Deutsche mit der liebenswürdigen
Unterstützung russischer Kugeln und russischer Minen.“37 Gerade die Satire
spielte eine besondere Rolle bei der Entwicklung des Feindbildes. Sie war das
wirkungsvollste Mittel, um den Menschen die Angst vor dem heranrücken-
den Feind zu nehmen. Satirische und humoristische Erzählungen von der
Front, Verse, Scherze, Anekdoten, Sprichwörter oder Fabeln erhöhten den
Kampfgeist ebenso wie die Satirerubriken der Frontzeitungen und Plakate.38
Die Devise lautete: „Alles für die Front, alles für den Sieg!“ Als offizieller
Schlachtruf galt: „Für das Vaterland, für Stalin!“, auch wenn sich Veteranen
der Wehrmacht vor allem an das Furcht einflößende „Hurra!“ erinnern.39 Im
Bewusstsein der sowjetischen Bevölkerung reduzierte sich das Feindbild auf
das Bild des Deutschen, des Faschisten, des Okkupanten, wodurch die Regie-
rung ihr Hauptziel erreichte: die Mobilisierung großer menschlicher Ressour-
cen in kürzester Zeit – Menschen, die bereit sind, zu leiden und sich zu op-
fern.40 Zum 1. Mai 1942 gab das ZK der VKP(b) insgesamt 46 Losungen aus,
die jeden Einzelnen, aber auch die „Proletarier aller Länder“ aufriefen, einen
persönlichen Beitrag im Kampf gegen den Feind zu leisten, etwa: „1. Proleta-
rier aller Länder, vereinigt euch im Kampf gegen die deutsch-faschistischen
Okkupanten!“ oder: „12. Lasst uns an den deutsch-faschistischen Schuften für
die Plünderung und Verwüstung unserer Städte und Dörfer, für die Gewalt
an Frauen und Kindern Rache üben! Blut um Blut! Tod um Tod!“ Auch an die
36 I. Stalin, Prikaz Narodonogo Komissara Oborony Nr. 130, 1.5.1942.
37 Il’ja Ėrenburg, Vojna. (Ijun’ 1941 – aprel’ 1942). Moskau 1942, S. 140. Herrn Univ.-Prof. Dr. Stefan
Karner, Graz, danke ich herzlich für die Bereitstellung der Originalausgabe dieses Bandes.
38 Gorjajewa, „Wenn morgen Krieg ist …“, S. 443.
39 Werth, Russland im Krieg, S. 295f.; Poljakov, Istoki narodnogo podviga, S. 22; Merridale, Iwans
Krieg, S. 127f., 155.
40 Gorjajewa, „Wenn morgen Krieg ist …“, S. 435f.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918