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8 Tagebücher
mich soviel als möglich neutral, gehe mit italienern und deutschen um, und
wenn von diesen dingen die rede ist, so spreche ich mich dahin aus, daß ich
alle ihre legalen und auf einen practischen Zweck gerichteten schritte zur
erreichung administrativer oder politischer reformen vollkommen billige,
daß ich aber das Aufstacheln von nationalantipathieen für vollkommen un-
passend und daher verwerflich halte, indem an ein losreißen gegenwärtig
doch kein vernünftiger mensch denken könne, daß ich es aber nun gar für
unwürdig und miserabel ansehe, wie kinder zu boudiren, und sich an in-
dividuen zu halten, welche doch wahrhaftig für die etwaigen mißgriffe der
regierung nicht solidarisch verantwortlich sind.1
modena ist auf Begehren des herzogs von unseren truppen besetzt wor-
den, der neue herzog von Parma ist in sein herzogthum eingezogen,2 in sar-
dinien erwartet man täglich neue reformen, wir aber wollen immer die alten
esel bleiben. ich bin der meinung, daß wir hier ganz unerwartet einen mäch-
tigen Bundesgenossen erhalten haben, wiewohl von einer verbindung oder
Annäherung zwischen uns und hier keine rede seyn kann und darf. Aber
sie, wie wir, graben an der grube jenes unheilvollen systems.
Am neujahrstage aß ich en tête-à-tête bey marmont, es waren ein paar
interessante stunden, und ich glaube, daß ich ihm nicht viel weniger inter-
essantes zu sagen hatte als er mir, er ist ein brillantes überbleibsel einer
großen epoche.
Abends, wenn ich nicht in die oper gehe, bin ich bey mathilde schwarzen-
berg, bey Palfy, bey thurn etc. resi thurn hat übrigens die grippe und liegt
im Bette, ich habe sie also erst ein paar mahle flüchtig gesehen.
1 Am 1.1.1848 schrieb Andrian an seine schwester gabrielle (k. 114, umschlag 662): „üb-
rigens ist venedig wirklich ganz anders wie sonst […] die höllenrichter sind jetzt auch
hier zuhause, es fängt zwar erst an, namentlich unter unseren Bekannten, und wenn man
geschickt wäre, so könnte man da manches thun, aber davon bin ich überzeugt, daß es in
2–3 Jahren hier ganz so aussehen wird wie in mailand. schade um mein liebes venedig.“
Am 8. Jänner berichtete er ihr wieder über seine eindrücke (ebda): „es ist ein ekelhaftes
gesindel, diese italiener, und ich freue mich nur, daß ich mich nicht einen Augenblick
in ihnen geirrt habe. übrigens ist nicht zu läugnen, daß sie der gründe zu Beschwerden
genug haben, nur die form, in der sie sich jetzt bewegen, ist bübisch und misérabel. Wäre
ich die regierung, so würde ich die strengsten maßregeln ergreifen und hauptsächlich dem
geldbeutel der reichen mailänder zu leibe gehen, zugleich aber ließe ich mir eine deputa-
tion von angesehenen leuten nach Wien schicken, um mir ihre Wünsche vorzutragen und
dort gemeinschaftlich etwas auszuarbeiten. Jetzt könnte man noch vergleichsweise mit
wenig auslangen: öffentlichkeit der gerichte, größerer Wirkungskreis der congregation,
vereinfachung der Administration etc.“
2 herzog von Parma wurde nach dem tod von erzherzogin marie louise karl ii., seit 1824
bis zur Abdankung im oktober 1847 herzog v. lucca.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien