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10 Tagebücher
neulich war ich lange bey clementine mocenigo und fand sie zu meiner
großen freude recht heiter und gut aussehend, wir sprachen sehr lange über
Alles, was uns seit wir uns zuletzt gesehen begegnete, und ihr gesunder kla-
rer verstand that mir wohl. nächster tage will ich einen Ausflug nach Pa-
dua machen, um resi Pallavicini zu besuchen. ich sehe doch, daß ich mehr
freunde auf der Welt habe, als ich dachte. felix Jablonowsky ist seit ein
paar tagen hier, im Jahre 1835 waren wir um diese nämliche Zeit hier bey-
sammen, seitdem sind 13 Jahre verflossen, wie wird es wieder nach 13 Jah-
ren um uns aussehen?!
neulich erhielt ich hier ein Paket mit Briefen etc., darunter wieder eine
sendung von fritz deym, er verspricht mir energische schritte, von andern
seiten her aber meldet man mir große muthlosigkeit im böhmischen lager,
ich antwortete neulich, nur jetzt nicht den kopf verloren, denn meiner An-
sicht nach sey der gegenwärtige Augenblick vorzüglich günstig. die italieni-
schen Angelegenheiten, über deren Bedeutung ich erst hier klar geworden
bin, vermehren die verlegenheiten der regierung unendlich und müssen
uns daher indirecte in die hände arbeiten. hätten die leute Augen und oh-
ren, so müßten ihnen die hiesigen vorgänge die Augen öffnen, sie müßten
einsehen, welch ein unterschied zwischen unserer loyalen und wohlmei-
nenden Bewegung und der hiesigen obwaltet, und als erstes resultat dieser
einsicht müßten sie uns concessionen machen, denn alle Welt zum feinde
und niemand zum freunde haben, bringt niemand rosen, am allerwenig-
sten aber einer altersschwachen mumie wie unsere regierung. Aber weil
ich diese leute kenne, so hoffe ich dennoch nichts. die verlegenheiten sind
für sie noch nicht groß, noch nicht dringend genug, und die Pertinazität der
dummheit wird hier wieder den rechten Augenblick, den letzten, verpassen.
es drängt mich wieder nach Wien, um den letzten Akt dieses großen Pos-
senspieles mit anzusehen, leider kann ich aber noch nicht an die heimkehr
denken.
da meine Antecédens hier ziemlich allgemein, wenn auch nur oberfläch-
lich gekannt sind, so erregt meine Anwesenheit hier viel Aufsehen. da man
mich aber viel mit Palfy etc. sieht, so supponirt man, ich sey von Wien hieher
geschickt worden als eine Art von vice ficquelmont.1
An kolb habe ich gestern eine lange epistel geschrieben, um mich mit ihm
zu verständigen, die Allgemeine Zeitung ist nämlich seit einiger Zeit, durch
leichnams in der malteserkirche san giovanni und der herzurne in der marinekirche san
Biagio erfolgte am 12.1.1848.
1 graf karl ludwig ficquelmont war ende August 1847 in besonderer mission zur unter-
stützung des vizekönigs erzherzog rainer in der verwaltung lombardo-venetiens nach
mailand entsandt worden.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien