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Jänner 1848
die drohungen der regierung eingeschüchtert, ganz schweigsam geworden.
die Auszüge aus den ungarischen Adressedébatten über unsere verhält-
nisse, welche ich ihr schickte, sind nicht erschienen, sogar einen meiner Pri-
vatartikel als Ankündigung der casimir esterhazyschen Anleihe, welchen
dieser mir übergab, hat er nicht eingerückt, obwol ich die insertionskosten
zahlen wollte, etc.1 ich habe ihm nun darüber eine categorische Antwort be-
gehrt, sollte uns dieses organ verloren gehen, so bliebe nichts übrig, als ein
eigenes für uns zu gründen und ein ausgedehntes schmuggelsystem ins le-
ben zu rufen. traurig genug, daß wir zu solchen mitteln greifen müssen.
Wir haben in diesen tagen einen ziemlich starken schneefall gehabt, und
es ist noch empfindlich kalt, was hier sehr unangenehm ist.
ich habe so eben ein Buch über die geldangelegenheiten oesterreichs von
A. tebeldi (?) fertig gelesen,2 rücksichtlich der finanzen äußerst interessant
und das vollständigste, was noch darüber erschienen ist, der verfasser schil-
dert den Bankerott und die entwerthung der Banknoten, mithin den sturz
der nationalbank als nahe bevorstehend, sonst ist er ein leidenschaftlicher
feind des Adels und der stände, und in Allem, was nicht reine Ziffer ist,
ebenso unwissend als lächerlich dumm und pompöser Phrasenmacher. üb-
rigens will er reichsstände, Wiederherstellung der Zünfte, Abschaffung der
fabriken und weiß gott was sonst noch. doch verzeihe ich ihm Alles die-
ses wegen seiner darstellung unserer finanziellen lage und Zukunft. diese
ist so düster gefärbt und erschütternd, daß sie auf den staatskredit wirken
muß, um so mehr als der verfasser sehr gut informirt scheint. dieses aber
ist die verwundbarste seite der regierung, und bey dieser muß man sie also
anfassen.
[venedig] 12. Jänner
gestern fuhr ich per eisenbahn nach Padua, wo ich bey franz Wimpffen früh-
stückte. dort sieht es aus wie in einem feldlager, nichts als märsche, staf-
fetten und Bewegung, nach modena marschiren wieder truppen, und ebenso
kommt ein regiment nach dem andern nach italien herein, wo die Armee
schon jetzt über 80.000 mann stark ist. ich erfuhr in Padua weit mehr, als
man hier weiß, überhaupt ist es unbegreiflich und zeigt wieder die allgemeine
desorganisation unserer Zustände, daß eigentlich niemand, die höchsten Be-
amten nicht ausgenommen, vollständig informirt ist, am Besten ist es noch
1 Wahrscheinlich als reaktion auf dieses schreiben erschien in der Allgemeinen Zeitung v.
16.3., Beilage 1210–1212, und v. 17.3.1848, Beilage 1225–1226, der zweiteilige Artikel die
entwicklung und consolidirung des österreichischen kaiserstaaes, datiert von der donau
im februar. ein Artikel Andrians zu den verhandlungen im ungarischen reichstag er-
schien wenige tage zuvor am 12.3.1848, Außerordentliche Beilage.
2 Albrecht tebeldi (d.i. carl Beidtel), die geldangelegenheiten österreichs (leipzig 1847).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien