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für unsere ohnehin schon so zerrütteten handelsverhältnisse, sondern zu-
gleich ein Beweis der ohnmacht unserer finanzen, nachdem kübeck gewiß
Alles gethan haben wird, um ihn als einen mitcontrahenten der letzten An-
leihe zu retten. Auch das gerücht des Anlehens von rußland scheint sich zu
bestätigen, und ich muß fest daran glauben, da ich mir sonst nicht erklären
könnte, woher die regierung zu den vielen Auslagen das geld hernimmt,
welche ihr die italienischen Angelegenheiten verursachen, die truppen-
märsche, die completirung der regimenter in italien, der Ausmarsch von
8 gränzbataillonen und jetzt die wie man sagt bevorstehende errichtung
eines 3. Armeekorps in italien, welches sammt einem theile der übrigen
italienischen Armee auf den kriegsfuß gesetzt werden soll, etc. Alles das
verursacht enorme kosten. Ja, ja, die vollendung naht heran, und meines
Bleibens kann hier nicht mehr lange seyn, ich langweile mich hier und fühle
mich dépaysé so ohne alle meine gewohnte Beschäftigung, mir fehlt hier der
Boden, in dem ich wurzle, ich verliere mich selber, halt und glauben an
mich in dieser gedankenlosen Weibergesellschaft und offizierswirthschaft
hier. das ist jetzt kein terrain mehr für mich.
eine Bemerkung, die ich schon seit längerer Zeit und zwar ungern an mir
mache, ist, daß meine Bitterkeit hinsichtlich unserer Zustände, unserer in-
neren und auswärtigen Politik und hinsichtlich der Personen, von welchen
diese bestimmt wird, anstatt abzunehmen, immer zunimmt. die täglich
wachsende verblendung und gewissenlosigkeit unserer machthaber, die
immer deutlicher hervortretenden unseligen resultate derselben, am mei-
sten aber die heftigen diskussionen über diesen gegenstand, welchen ich, so
oft ich es über mich vermag, als stummer Zuhörer beywohne, oft aber auch
daran theil zu nehmen gezwungen bin, Alles dieses läßt in mir eine Bit-
terkeit zurück, welche leicht in leidenschaft ausarten könnte, deßhalb muß
ich immer mehr Achtung auf mich selber haben, will ich an der spitze der
Bewegung bleiben, so muß ich mein Blut kalt und meinen kopf frey erhal-
ten, übrigens wird mir dieses in Wien weit schwerer als hier, wo mir meine
Antipathie gegen die italiener und gegen die form des hiesigen treibens zu
hülfe kömmt, hier komme ich mir beynahe wie ein conservativer und regie-
rungsmann vor.
[venedig] 21. Jänner
eskeles’ Bankerott bestätigt sich nicht, er hat zwar durch haber’s und gon-
tards fallimente1 große verluste erlitten und wankte ein paar tage lang,
doch durch eine gemeinsame Aktion der Banken rothschild und sina in Absprache mit den
staatlichen Behörden saniert.
1 das karlsruher Bankhaus s. haber & söhne und die frankfurter Bank gontard & co.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien