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1926.
Jänner 1848
lügen und erreichen insofern ihren Zweck, als sie dadurch die gemüther
aufregen und eine gewisse furcht verbreiten, es ist komisch, was die kerls
Alles ausdenken: so ist jetzt durch tausende von anonymen Briefen anbe-
fohlen worden, nur in schwarzen handschuhen als Zeichen der trauer in
der fenice zu erscheinen, und dieses wird gewissenhaft befolgt, auch soll als
Zeichen der nationaltrauer niemand applaudirt werden, was aber weniger
strenge eingehalten wird. das cigarrenrauchen ist nun auch hier verboten
und zu diesem ende das gerücht verbreitet, daß viele vergiftete cigarren im
umlaufe seyen und schon mehrere daran gestorben wären! von wem denn
vergiftet? doch nicht von der regierung?!
gestern besuchte ich die cerrito, welche unter allen diesen großartigen
demonstrationen am meisten leidet, um zu hören, was sie dazu sagt.
die ganze geschichte von Wien ist rein erlogen, obwohl ich mir denke,
daß wenigstens die spaltung in der konferenz wahr seyn dürfte,1 denn die
sachen stehen wirklich ernst genug, um eine solche hervorzubringen. ich
glaube nicht, daß meine einbildungskraft, durch die hiesigen vorgänge frap-
pirt, denselben eine übermäßige Wichtigkeit beylegt, und dennoch bin ich
der meinung, daß eine crisis für die gesammtmonarchie nie so nahe war als
jetzt, und daß die finanzen dazu den Anstoß geben werden.
Was mir bey allen diesen geschichten sehr leid thut, ist, daß Wallmoden,
den ich so sehr verehre, sich dabey etwas blamirt hat, er hat nämlich einen
tagsbefehl herausgegeben, worin er der truppe befiehlt, alle Beleidigungen
etc. ruhig über sich ergehen zu lassen. dagegen hat radetzky einen Armee-
befehl ergehen lassen, welcher ein meisterstück der Poesie eines alten hau-
degens ist. darüber rümpfen freylich die italiener die nase. Walmoden soll
seinen Befehl sehr bereuen und sich zurückziehen wollen. der moment war
freylich nicht glücklich gewählt.
es ist ewig schade, daß die fatale Politik das gesellschaftliche leben ver-
bittert, man könnte sonst hier einige monathe sehr angenehm zubringen,
selbst so wie die sachen stehen, habe ich hier einige junge hübsche frauen,
welche mir sehr conveniren, z.B. sophie Apponyi, die komische kleine Per-
sico, louise Jablonowsky, mrs. sparks, eine niedliche kreolin, etc. sophie
Palfy, valérie Zichy, Jane Pallavicini, nani esterhazy sind mir sehr ange-
nehme freundliche erscheinungen, mit denen ich auf einem sehr guten fuße
stehe. resi thurn will ich die cour machen, und je m’exécute de trés bonne
grace, obwol ich, wenn ich keine arrièrepensée hätte, mir lieber eine solidere
courmacherey aussuchen würde. die genannten, dann nandine karoly,
mathilde schwarzenberg, marmont, felix Jablonowsky etc. sind mein täg-
licher umgang. neulich aß ich mit Andro venier bey meinem alten freunde
1 vgl. dazu eintrag v. 21.1.1848.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien