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235.
Februar 1848
vorbereiten und organisiren. doch werde ich von Wien aus lerchenfeld’s Be-
gehren erfüllen.
der ungarische landtag soll, in einem élan von loyalität, dem kaiser eine
unlimitirte Anzahl von rekruten angeboten haben – nur keine loyalen über-
eilungen und übertreibungen.
[venedig] 5. februar
der könig hat in neapel eine constitution gegeben mit 2 kammern, Preß-
freiheit etc., ein neues ministerium eingesetzt, an dessen spitze serraca-
priola steht etc. Alles über nacht. für sicilien ist noch nichts bestimmt, als
daß die insurgenten das spiel gewonnen haben, einstweilen ist ein 10tägi-
ger Waffenstillstand geschlossen. delcarretto ist entlassen, als er mit dem
dampfboote nach livorno kam, entstand ein förmlicher Aufstand, und er
mußte seine reise bis genua fortsetzen.
die Wirkung dieser ereignisse auf das übrige italien, auf den gang der
reformen des Pabstes, in toskana etc. läßt sich nicht berechnen, unsere
truppen marschiren indessen ohne unterlaß herein, man spricht davon, was
ich aber nicht glauben kann, daß wir in kraft alter verträge Alessandria
besetzen wollen, indem radetzky erklärt hätte, daß wir nur dann eine feste
militairische Position inne haben würden.
carl schwarzenberg, der gestern ein paar stunden lang herin war, den
ich aber leider nicht sah (ich hätte ihn so gerne über die lage der dinge in
Böhmen befragt), erzählte eine andere vielleicht noch wichtigere neuigkeit:
der ungarische landtag habe die verlangten rekruten verweigert und werde
demzufolge nächstens aufgelöst werden. das wäre gar zu ungeschickt und
liegt auch gar nicht in der bisherigen tendenz kossuths und der opposition,
daher will ich es nicht glauben. ebenso ungeschickt aber wäre von seiten der
regierung eine Auflösung des landtages. Auch in lemberg sollen unruhen
stattgefunden haben, und in steyermark und niederösterreich hat es einen
bedeutenden Bauernaufstand gegeben, welche die steuern verweigerten,
und nur durch starke militärmacht gedämpft werden konnte.
ich gehe übermorgen fort und bin am 10. früh in Wien, hier sind jetzt die
schönsten angenehmsten tage von der Welt, als wollte mir unser herrgott
die Abreise schwer machen. gestern Abends war ich bey nani esterhazy mit
nandine karoly, den Apponyis, marmont, ratdepont etc., es gibt hier doch
außer dem markusplatze eine menge menschen, unter denen ich mich sehr
wohl befand und die ich ungern verlasse, vor Allem Palffys, Apponyi, ester-
hazy, marmont, und in zweyter linie thurns, Jablonowskys, Jane Pallavi-
cini, valérie Zichy etc. der kontrast zwischen meinem hiesigen leben und
Wien, wo ich fast bloß mit männern umgehe, ist bedeutend und nicht immer
zum vortheile Wien’s, dennoch aber sehne ich mich dahin zurück, wo mich
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien