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24 Tagebücher
meine gewohnten und mir unentbehrlich gewordenenen Beschäftigungen er-
warten. strasoldo sehe ich viel, er ginge gerne, wenn er es könnte, zu fuße
nach Wien zurück, und ich begreife es vollkommen.
[venedig] 6. februar Abends
ich komme so eben aus dem theater, wo eine demonstration, scandalöser
als alle vorausgegangenen, stattgefunden hat. nach dem Beyspiele der
mailänder, welche hier in Allem nachgeäfft werden, war zur feyer der nea-
politanischen constitution auf heute eine Art von theater paré angesagt
worden, nur die Polizey war wie gewöhnlich: sie wußte nichts oder wollte
nichts wissen, ja die ungeschicklichkeit derselben ging so weit, daß sie ge-
stattete, daß nicht nur macbeth mit dem famösen chore im 4. Akte,1 son-
dern nach dem 2. Akte, da der tänzer saintléon krank ist, der bloße pas
de tarantelle (welcher noch dazu heute auf dem theaterzettel als passo
siciliano angekündiget war) von der cerrito getanzt wurde, wiewohl man
wußte, daß sie als neapolitanerinn mit enthusiasmus empfangen werden
sollte. das hieß also eine demonstration geradezu provociren. Wirklich er-
schienen die lions alle in weißen cravaten, die damen dreyfärbig, doch ging
während der ersten 2 Akte Alles gut ab, als aber das Ballett oder eigentlich
der pas anging, entstand ein wüthendes geschrey, händeklatschen, Wehen
mit schnupftüchern etc., welches während des ganzen tanzes ohne unterlaß
fortdauerte, als der vorhang gefallen war, wollte man es wiederholen las-
sen, was verbothen ist, es entstand ein tumult, ein lärmen ohne gleichen,
man schrie viva napoli, abbasso Palfy, und Alles wandte sich gegen Palfys
loge, in welcher niemand als felix Jablonowsky und ich saßen, sophie Palfy
war zum glücke nicht gekommen, ich that, als ob ich nichts bemerkte, und
sah mit neugierigem gesichte ins Parterre hinunter. felix aber wurde grün
und gelb vor Zorn. dieser spectakel dauerte wohl eine viertelstunde, ohne
daß die Polizey irgend etwas that, so daß endlich der inspektions-offizier
truppen kommen und Angesichts Aller scharf laden ließ, da rannte dann
Alles zum theater hinaus, und die veranstaltung hatte ein ende. ich ging
noch zu thurn hinüber, um die damen zu ihrer gondel zu begleiten und sie
vor etwaigen insulten zu beschützen, es lief aber Alles ruhig ab. Auf dem
Platze vor dem theater waren gruppen versammelt, so daß das militär, wel-
ches sich vor demselben aufgestellt hatte, den Platz säubern mußte. so weit
haben wir es also mit lauter dummheit, schwäche und indolenz gebracht,
ich bin froh, daß ich von hier wegkomme, aber das bin ich überzeugt, daß,
wenn morgen nicht sehr strenge maßregeln ergriffen werden, woran ich sehr
1 Patria oppressa, chor der schottischen flüchtlinge am Beginn des 4. Aktes von verdis
macbeth.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien