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dort soviele gute freunde und namentlich eine so angenehme frauengesell-
schaft, daß mir die Abreise nicht so leicht ward, als ich geglaubt hatte. noch
jetzt kann ich mich von meinen regrets nicht ganz los machen, und das hie-
sige langweilige clubleben ist nicht gemacht, um mich meine gemüthlichen
venezianer salons vergessen zu machen.
nach einer sehr ruhigen fahrt war ich am 8. um 7 uhr früh in triest, nahm
gleich einen Platz im courier, besorgte die Plombierung meiner sachen, mei-
nen Paß etc., frühstückte, verwünschte das langweilige triest, besuchte feri
giulay und darauf nandine károly, denen ich die letzten venezianer evéné-
ments erzählte, aß dann im hôtel metternich mit major körber und toni co-
ronini, welcher letztere mich von da zur Post begleitete. um 3 fuhr ich ab, mit
mir ein russe graf nostitz, ein oberleutnant visconti von kress chevauxle-
gers und ein komisches männchen, kaufmann Alexander aus triest. um 9
uhr des morgens waren wir in cilly, fuhren um 1/2 12 per eisenbahn ab, es
war ein herrlicher Wintertag, waren um 6 in grätz, um 11 am semmering, um
2 in gloggnitz, und gegen 7 uhr war ich in meiner Wohnung.
ich kenne Wien nicht mehr, seit den 6 Wochen, daß ich es verlassen, ist
es um 6 Jahre älter geworden, die consternation ist allgemein und maßlos,
die machthaber rennen mit brennenden köpfen durcheinander und wissen
nicht, was sie thun sollen, nur erzherzog ludwig hüllt sich in seine unbe-
zwingliche dummheit und glaubt an gar nichts, nicht einmal an meinen Be-
richt über den theatervorfall am 6. er weigert sich den vicekönig abzurufen,
weil er sein älterer Bruder sey!! mittlerweilen ist es richtig, daß der kaiser
von russland uns 20 millionen gegen eine einfache schuldverschreibung un-
seres kaisers leiht. die öffentliche stimmung ist über Alles dieses in höch-
ster Aufregung, und was bisher noch nie dagewesen, die finanzwelt, roth-
schild an der spitze, agitirt für constitutionelle staatsformen als die einzig
mögliche garantie des öffentlichen kredites.
neipperg ist noch immer hier, aufgeregter als je und in seiner gewohnten
übertriebenen Weise schimpfend und declamirend. hier erzählten sich die
leute, d.h. meine feinde und die ihnen nachbetenden schafsköpfe, ich sey
nach italien gegangen, um die italiener zu hetzen, tommaseo habe von mir
die materialien zu seinem vortrage über die censur erhalten, etc.
gestern, am tage nach meiner Ankunft, ließ mich graf kolowrat zu sich
bitten. ich mußte ihm Anfangs Alles erzählen, was ich in venedig gese-
hen und gehört hatte, worauf er dann in eine sehr lange und interessante
discussion einging über das, was jetzt zu geschehen hätte, ich sagte ihm,
daß nach meiner Ansicht der ungeheure fehler darin bestehe, daß man in
diesem extralegalen Zustande des landes sich mit legalen mitteln behelfen
wolle, darüber ginge die monarchie zu grunde, man möge einen hofkom-
missär mit den ausgedehntesten vollmachten abschicken, dieser solle den
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien