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28 Tagebücher
[Wien] 16. februar
es herrscht hier eine dumpfe Agitation, und jeden tag gibt es neue ge-
rüchte und intriguen. Auf den gestrigen tag war das gerücht verbreitet,
daß gewaltige reformen erscheinen sollten, jetzt wird man wahrscheinlich
einen andern tag bezeichnen. das aber ist der Weg, welcher zu volksbe-
wegungen führt. in allen kreisen von den caffehhäusern bis zu den sa-
lons wird von nichts als von Politik, von den italienischen Angelegenheiten,
von dem Zustande unserer finanzen, von der russischen Anleihe und von
den bevorstehenden veränderungen gesprochen. mehrere menschen haben
mir schon gesagt: ihr 2. theil ist um 200 % gestiegen, denn seine Prophe-
zeyungen sind früher eingetroffen, als man gedacht hätte. es scheint wirk-
lich, daß oben etwas ausgekocht wird, aber ich erwarte von dem schöpfe-
rischen geiste unserer hofräthe nichts gutes und Brauchbares und habe
dieses auch graf kolowrat gesagt. oben herrscht großer Zwiespalt. erzher-
zog ludwig sträubt sich gegen jede energische maßregel, besonders gegen
die Abberufung des vicekönigs, und erzherzog Johann intriguirt mächtig
gegen metternich und sedlnitzky, dieser letztere zieht indessen, mit der
verzweiflung der dummheit, die fesseln der censur und Bücherverbothe
immer strenger an und hat wirklich für den moment eine Art egyptischer
mauer um Wien herum gezogen, so daß man kaum mehr verbotene Bücher
und Zeitungen bekommen kann. morgen geht eine deputation der Buch-
händler deßwegen zum kaiser.
Aus italien laufen alle tage neue nachrichten ein, in Padua hat es eine
förmliche studentenrévolte gegeben, wobey an 40 derselben todt oder ver-
wundet sind, etwas ähnliches geschah in Pavia, wo ein offizier niederge-
schossen wurde. Bey weitem das Wichtigste aber ist, daß der könig von
sardinien eine constitution gegeben hat, welche auf der breitesten Basis
ruht, die Proklamation vom 8., womit er dieß ankündigt, ist magnifique, voll
Würde und Beredsamkeit, was wird nun weiter geschehen? Was wird na-
mentlich in rom geschehen? die demonstrationen in mailand und andern
städten wiederholen sich bis zum ekel.
das luder lola montes ist endlich durch einen gewaltigen volks- und
studentenaufstand aus münchen und Bayern hinausgejagt worden, und
ludwig der gerechte, das alte schindvieh, ist hierauf mit Jubel begrüßt wor-
den, was meines erachtens ganz überflüssig war, wer verachtung verdient,
dem soll man sie bezeigen, und wäre es auch nur durch schweigen. ich bin
neugierig auf die détails, die mir lerchenfeld mittheilen wird.
ich war neulich bey erzherzog ludwig, trug jedoch mit fleiß die farben
nicht allzu stark auf, indem mir seine disposition bekannt war.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien