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März 1848
in der stadt aber wollte die Aufregung und das mißtrauen nicht aufhö-
ren. man vermißte in der gedruckten Proclamation das Wort Preßfreiheit,
schöpfte verdacht, weil nicht seine majestät, sondern nur der regierungs-
praesident talatzko unterzeichnet sey, sprach mehr als je von der Absicht
des fürsten Windischgrätz, die stadt zu bombardiren. eine Zeit lang be-
fürchtete man einen sturm auf die Burg, zum glücke regnete es stark, kurz
der heutige Abend ging ruhig vorüber, und jetzt, mitternacht, sind weit we-
niger leute auf den straßen als gestern.
ich sprach nachmittags mit Pillersdorff und äußerte meine Bereitwillig-
keit, mich dem neuen systeme zu diensten zu stellen, er wollte mich als
generalsekretär und organisator der nationalgarde verwenden. doch wird
zu meinem großen vergnügen nichts daraus, und schmerling hat diesen Po-
sten.
die haltung der Bürgerschaft und der ganzen Bevölkerung war muster-
haft, voll takt, Würde, Anstand und loyalität, jetzt kann man stolz darauf
seyn, ein oesterreicher zu heißen, möge es so bleiben, aber das halbe, un-
loyale Benehmen der regierung, welche sich immer eine hinterthür offen
halten zu wollen scheint (das ist hartig’s Werk), erbittert die leute, sät miß-
trauen und kann eine catastrophe herbeyführen.
[Wien] 16. märz morgens
ich hoffe, die revolution ist zu ende, denn der sieg ist so vollständig als nur
möglich. gestern früh war eine kaiserliche Proclamation an allen häusern
angeschlagen, welche die stände Aller Provinzen und die centralcongrega-
tionen des lombardischvenezianischen königreiches auf den 3. July hieher
beruft. dennoch war die stimmung am morgen noch ziemlich bedenklich,
der 3. July war ihnen zu spät, die furcht vor reactionen wollte nicht aufhö-
ren. Besonders die studenten wurden unruhig, wollten das Wort „constitu-
tion“ bewilligt sehen und schöpften verdacht, als man sie in die vorstädte
und umgegend schicken wollte, um dem plündernden gesindel einhalt zu
thun, sie meinten, man wolle sie aus der stadt entfernen.
die sachen standen also noch ziemlich schlimm. da traten die gutgesinn-
ten und mäßigen (bey weitem die mehrzahl) zusammen, Placate und Auf-
rufe zur ruhe erschienen von allen seiten, u.a. ein Aufruf der schriftsteller
Wiens, welche von der Preßfreiheit Besitz ergreifen und das Publicum über
diesen Punkt beruhigen, dieß that besonders gute Wirkung, denn merkwür-
digerweise war es die Preßfreiheit, um die am meisten lärmen und dann
am meisten Jubel entstand, wohl auch von leuten, die keinen Begriff davon
hatten. Auf dem magistrate bildete sich ein comité von 48 mitgliedern unter
dem vorsitze des Banquiers stametz meyer (darunter stifft und doblhoff),
welches die städtischen Angelegenheiten leitete, Aufrufe zur ruhe erließ
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien