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März 1848
mann eingeschrieben und bewaffnet seyn), welche ich vom kohlmarkte aus
sah. das bloße vorbeyziehen dauerte 1 1/2 stunden, dabey tausende von
fahnen, standarten, inschriften etc., die illumination war sehr schön, und
viele sinnreiche transparente. die ungarn aber waren als mißvergnügt weg-
geblieben, überhaupt fängt die stimmung wieder an bedenklicher zu wer-
den, die Burg ist noch immer abgesperrt, Windischgrätz hat großen einfluß.
dieses Benehmen ist wirklich nicht mehr zu qualifiziren.
im casino waren die ungarn in einer immer steigenden gährung, endlich
um 12 uhr kam die nachricht: Alles sey bewilligt, und bald darauf erschien
louis Batthyány als Premierminister und mit der Bildung des cabinetts be-
auftragt, jedoch – misérable Ausflucht erzherzog ludwigs – nicht von seiner
majestät, sondern vom Palatinus! nun ist das staatsrechtliche verhältniß
ungarns zu uns festgestellt, es ist das größte ereigniß in ungarns constitu-
tioneller geschichte, und ich kann sagen, daß ich ganz allein es herbeyge-
führt habe, meine idee der theilnahme ungarns an unserer politischen ent-
wicklung, welche ich noch in Pressburg so viele mühe hatte durchzubringen,
und die damals nur bey kossuth und Pázmándy augenblicklichen eingang
fand, diese idee rief die débatten über unsere Zustände bey der Adelsfrage,
dann die verunglückte kossuthsche motion und endlich die letzte Adresse
hervor. diese gab einen hauptanstoß zu unserer revolution, welche wieder
ganz allein diese neue und brillante gestaltung der ungarischen Angelegen-
heiten möglich machte. das hätte ich also, ohne ruhmredig zu seyn, hervor-
gebracht. hiermit haben sie nun ministerverantwortlichkeit, regulirung des
comitatswesens, jährliche landtage, unabhängigkeit der verwaltung etc.
Auch für uns ist es eine Art von garantie, daß man an eine contrerevolution
nicht denkt.
ich erwartete, heute zu kolowrat gerufen zu werden, es geschah aber nicht.
gegen 4 uhr wurde heute ein neuer krawall gemacht, um den Bürger-
meister czapka zur Abdankung zu zwingen, was auch geschah und sogleich
durch trommelschlag in der ganzen stadt verkündigt wurde, une maniére
fort cavaliére de se débarrasser des gens.
[Wien] 18. märz Abends
gestern früh kam tóth, der mit der ungarischen deputation hergekommen
war, einen Augenblick zu mir, um mir über ungarische Angelegenheiten zu
referiren. dann zog ich mich eilig an und ging zu doblhoff, wo man mich zu
einer conferenz geladen hatte, es sollte nämlich ausgemacht werden, was
zunächst zu thun sey, denn in diesem Augenblicke sind wir eigentlich ganz
ohne regierung (als Beweis dessen kam, während wir da saßen, ein hofrath
der Polizey zu uns, um beynahe flehentlich um schutz für sich und den abge-
tretenen grafen sedlnitzky zu bitten). ich bestand vor Allem auf Aufhebung
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien