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März 1848
stisch germanischer geist, welcher sogar Anschluß an ein deutsches natio-
nalparlament will. Wie wird man solche richtungen mit einander versöhnen
und den Zerfall der monarchie verhindern, ich gestehe, daß mir die sache
immer schwieriger, immer verzweifelter vorkömmt. in laibach, triest und
klagenfurt großer Jubel, weiter vor der hand nichts. Aber was werden wir
aus italien hören? werden wir dort auch eine guardia civica gestatten und so
unsere feinde selbst bewaffnen!? und kann man es ihnen jetzt verweigern?
in krakau hat deym alle politischen gefangenen losgelassen, daher bis jetzt
noch großer Jubel.
das verderblichste aber ist in ungarn geschehen. dort hat der landtag,
von panischem schrecken und gerüchten bewaffneter Bauernhorden, repu-
blicanischer demonstrationen in Pesth etc. ergriffen, in Zeit von ein paar
stunden ohne irgend eine discussion auf kossuth’s (des hirnlosen Agitators)
Antrag sämmtliche robothen und Zehenten von stund an aufgehoben und
die frage der entschädigung dem nächsten landtage (denn der gegenwär-
tige soll in einigen tagen auseinander gehen) vorbehalten und diesen, noch
nicht vom könige sanctionirten Beschluß in 100.000 exemplaren durch das
ganze land verbreitet! erzherzog stephan hat schon wieder den kopf ver-
loren und selbst den Agitator gemacht. l. Batthyány, der neue chef des –
noch nicht constituirten – ministeriums, kömmt heute herauf, um die kö-
nigliche sanction dieses gesetzes zu widerrathen, und hoffentlich wird diese
auch nicht erfolgen. man sieht, wie wenig er also chef de parti ist! Jeden-
falls ist also ein großer Bauernaufstand in ungarn zu erwarten, und hier
dürfte es ähnliche Wirkungen hervorbringen. in Böhmen sind die Bauern
schon in mehreren kreisen auf den Beinen, in oesterreich, steyermark und
kärnthen gährt es ebenfalls, und in ein paar tagen haben wir das ganze
land in Waffen! was soll daraus werden?
und statt einer energischen, thätigen regierung haben wir in einem so
kritischen momente die alten schlafhauben, vor Allem den erzherzog lud-
wig, dessen Jämmerlichkeit uns zu grunde richtet. erst heute sind die mi-
nister, und dieß nur zum theile, ernannt worden. kolowrat ministerprae-
sident, ficquelmont Äußeres, Pillersdorf inneres, der höchst unpopuläre
taaffe die Justiz, kübeck, den neulich ein schlaganfall getroffen und der
gestern in einem verzweifelten Zustande auf urlaub abgereist ist!!! die fi-
nanzen, der krieg noch unbesetzt. das ist Alles, hartig ist noch da, Win-
dischgrätz, Pilgram, münch, Pipiz und alle die alten menschen auch! Was
heißt das Alles? hätte man auf mich gehört, als ich am 15. und 16. sagte,
man müsse die Agitation nicht aufgeben, bis jene männer nicht abgetreten
seyen, so stünde es anders.
das ständische comité, aus 12 landständen und ebenso viel Bürgern be-
stehend, hat sich constituirt und ein recht gutes Programm veröffentlicht,
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien