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den einen feyerlichen Besuch ab, sie sind für uns und die dynastie sehr gut
gesinnt, desto wüthender aber gegen die ungarn, und wollen trennung von
ungarn, eigenes ministerium etc., und unter andern Aufhebung des coe-
libats der Priester. die Anarchie ist à son comble, jedermann fordert nun
schon für sich und mit ungestüm.
in ungarn, respective Pressburg hat es wieder mordspectakel gegeben.
man war mit den königlichen resolutionen hinsichtlich der Ablösung, dann
wegen den Attributionen des ungarischen kriegs- und finanzministeriums
nicht zufrieden. kossuth hielt eine donnernde rede gegen die unkonstitu-
tionellen rathgeber der krone, als welche er namentlich erzherzog ludwig
und hartig nannte. nach ungarischer Weise gab es wieder excesse: man
verbrannte das köngliche rescript, wollte den armen Zsédényi, der es un-
terschrieben, ermorden, etc. erzherzog stephan und louis Bathiany kamen
wieder herauf und erzwangen endlich volle sanction der ständischen ge-
setzentwürfe. das königliche Ansehen in ungarn ist durch dieses insolente
Benehmen der siegreichen Parthey ganz zu grunde gerichtet. die leute
machen einen ungroßmüthigen und für sie selbst und ihr land verderbli-
chen gebrauch von ihrer momentanen stärke und von der schwäche der
regierung, während andererseits diese mit aller der Perfidie und inconse-
quenz der todesangst immer im geheimen von dem, was sie nothgedrungen
bewilligen muß, etwas abzwacken möchte. dabey benimmt sich erzherzog
stephan misérabel, schmeichelt den Juraten, droht alle fünf minuten mit
seiner Abdankung, und zwar nicht hier, sondern in Preßburg auf öffentlicher
straße, und vermehrt die verlegenheiten der regierung, statt ihr zu helfen.
in Böhmen ist man mit dem resultate der deputation unzufrieden und
besteht auf der incorporirung von mähren, wovon dieses land übrigens
nichts wissen will, eine abermalige böhmische deputation soll heute ange-
kommen seyn, doch weiß ich darüber nichts näheres.
die steyermärker und kärnthner sind heute fort, in gratz soll es, wie mir
gleisbach, Auersperg und kalchberg erzählten, gewaltig nach republik rie-
chen, wird auch nicht so arg seyn, überhaupt sind die schwarzseher jetzt
eine wahre landplage, lamberg ist einer der ärgsten, und leider kann man
ihnen für den Augenblick kaum unrecht geben.
Aus italien sind endlich heute nachrichten gekommen nach einer 6tägi-
gen ungewißheit. mailand ist von radetzky wieder erobert, die piemontesi-
schen freischaaren vernichtet worden. Palmanova ist wieder unser, und ra-
detzky ist gegen venedig und udine im Anzug. hier haben sich eine masse
freiwillige zum Auszuge nach italien gemeldet, eine solche Begeisterung ist
edel und nützlich, weil wir dadurch hier viele turbulente menschen los wer-
den, aber politisch ist es kaum. italien muß am ende frey gegeben werden,
es handelt sich nur mehr gegen welche entschädigung? mir wäre eine be-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien