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März 1848
deutende übernahme unserer staatsschuld das liebste, und es wird wohl
dahin kommen, daß wir deßhalb mit den italienern werden pactiren müssen.
diesen Abend heißt es, sardinien habe uns den krieg erklärt, wahrschein-
lich, der vicekönig, der hund, ist abgepascht und kommt morgen hier an.
die 5 % standen heute auf 59 – ! –
das Preßgesetz ist heute Abend erschienen, ich habe es noch nicht gese-
hen. latour ist kriegsminister, Zanini wollte es nicht annehmen.1 morgen
ist das erste ministerconseil, und der staatsrath soll aufgelöst werden. Auch
sollen hartig und erzherzog ludwig endlich abtreten. heute waren Breuner
und stifft bey erzherzog Johann, hartig und erzherzog franz carl zu die-
sem Zwecke und hatten mit hartig eine sehr lange und derbe conversation,
der mann will sich durchaus an seine stelle festklammern. mein Aufsatz in
der Wienerzeitung hat gewirkt, flugblätter und kleinere Artikelchen müs-
sen nachhelfen, sogar lamberg wird zum schriftsteller! ich glaube, zu dem
(nun wie ich hoffe nahe bevorstehenden) sturze aller der genannten mit
beygetragen zu haben, namentlich persuadirte ich Breuner, der sich über-
haupt in dieser Zeit als mann von ehre und muth gezeigt hat. nun muß
noch wegen der constitution etwas geschehen, je länger man zögert, desto
schwerer wird es Alle zu befriedigen, und desto radicalere tendenzen ma-
chen sich luft.
hier nimmt der germanische geist und die schwarzrothgoldene cocarde
sehr überhand, und ich selbst bekehre mich dazu; da [dies] doch eigentlich
immer mein innerstes Wesen war, nur müßte damit die Aufgebung von ita-
lien und Polen verbunden werden, letzteres um das slavische element in der
monarchie zu schwächen, aber an rußland dürfte galizien nicht fallen, wird
nun dieses möglich seyn? da liegt der knoten.
heute wurde ich von mehreren seiten angesprochen, ich möchte nach
frankfurt gehen und schuselka mit mir nehmen, um bey der versammlung
aller deutschen stämme, welche dorthin für den heutigen und die folgenden
tage von itzstein und hecker ausgeschrieben worden ist, oesterreich zu re-
praesentiren.2 ich aber schickte die leute ganz kurz spatzieren, nach den
Briefen, die ich aus süddeutschland habe, soll das radicalste element von
deutschland dort zusammenkommen, und da passe ich nicht hin.
1 hier irrt Andrian. das kriegsministerium übernahm vom 2.–29.4.1848 doch general Peter
Zanini, erst am 29. April wurde er durch graf theodor Baillet de latour ersetzt.
2 Beide wurden in das frankfurter vorparlament gewählt, Andrian von den niederösterrei-
chischen ständen, franz schuselka von den studenten der Wiener universität (vgl. ein-
trag v. 3.4.1848). die Wiener delegation erreichte frankfurt zu spät, um an den sitzungen
des vorparlaments vom 31.3.–3.4.1848 teilzunehmen, Andrian und schuselka wurden je-
doch in den permanenten fünfzigerausschuss gewählt.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien