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82 Tagebücher
Abend seine entlassung nehmen, weil man ihn in alter beliebter manier
über den löffel barbieren wollte, heute gesteht man wieder Alles zu, immer
die alte misére und der alte Zopf. in italien rückt nugent ziemlich langsam
vor, wird aber doch bald zu radetzky stoßen, dann wird die sache ein ande-
res gesicht bekommen.
[Wien] 10. mai Abends
die Wehen des ministeriums haben diese tage über fortgedauert, berufen
wurden A. Bach und doblhoff, welche mit Pillersdorf und kleyle an der ent-
bindung arbeiteten, von mir war für die auswärtigen Angelegenheiten die
rede (die gestrige Allgemeine Zeitung nannte mich als den zunächst eintre-
tenden minister des inneren), jedoch wurde beschlossen, Wessenberg aus
dem Breisgau hieher zu berufen. doblhoff sprach mir von der sache, und
ich rieth ihm auf das dringendste, auf der entlassung des ganzen cabinets
und der formirung eines ganz neuen, compacten und homogenen zu beste-
hen. dazu aber hat er nicht energie genug gehabt, sondern, obwohl A. Bach,
der zum Justizminister bestimmt war, im letzten Augenblicke ausspannte,1
sich dennoch bewegen lassen, das Portefeuille des Ackerbaus und handels
zu übernehmen. heute ist er im ministerrathe eingetreten, sein Programm
ist übrigens ganz gut, und unter andern hat er die entfernung erzherzog
ludwigs, der kaiserinn mutter,2 Bombelles etc. verlangt und durchgesetzt.
Auch bey hofe sollen veränderungen vorgehen, Breuner oder montecuccoli
obersthofmeister werden, die nationalgarde am dienste um die Person des
kaisers theilnehmen und mit die Burgwache beziehen, die hoffähigkeit auf-
hören etc. diese letzteren forderungen hätte ich vielleicht nicht gestellt. mit
ihm tritt Baumgartner als Arbeitsminister ein, eine schlechte Wahl. mir
thut es um doblhoff leid, denn er wird sich, ohne irgend ein besonderes re-
sultat zu errreichen, um seine Popularität bringen, und der mann der that,
also des momentes ist er ebenfalls nicht.
das Ärgste kommt aber noch. in unbegreiflicher verblendung hat Pillers-
dorf (der überhaupt gar keine politische portée, sondern bloß administrative
fähigkeiten hat), um die czechen zu versöhnen, gerade jetzt, da die frank-
furter versammlung angehen soll, den mann ins ministerium berufen, wel-
cher offen Böhmens Abfall vom deutschen Bunde gepredigt und mit der
neulich vom 50er Ausschusse nach Prag (ungeschickt genug) abgeschickten
Beschwichtigungsdeputation: kuranda, Wächter und schilling, in gezänk,
1 Justizminister blieb (seit 22. April) frh. franz v. sommaruga sen.
2 karoline Auguste, die vierte gattin und Witwe von kaiser franz und daher seit dem regie-
rungsantritt von ferdinand ii. 1835 „kaiserin-mutter“, obwohl nur ein Jahr älter als der
neue kaiser.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien