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Mai 1848
hummelauer ist nach london gegangen mit dem italienischen Projekte,1
jedoch hat man die Alternative der völligen trennung italiens von oester-
reich weggelassen, meiner Ansicht nach mit großem unrecht, bald dürfte es
zu spät seyn, und das colossale vieh hartig wird auch nichts zur erhaltung
jenes landes beytragen. Jablonowsky will nun sein Promemoria veröffentli-
chen.
Am 13. Abends fuhr ich ab, mehrere leute begleiteten mich zum Bahn-
hofe, wo ich unter andern auch graf und gräfinn ficquelmont antraf, die
nach teplitz abreisten und mir seit langer Zeit zuerst wieder ein freundli-
ches gesicht machten.
mit mir fuhren Auersperg, Würth und noch ein paar Abgeordnete und die
commission, welche nach Berlin, Belgien etc. geht, um das öffentliche ver-
fahren zu studiren, also mitis, sacken, müller etc., diese letzteren trennten
sich in kohlfurt von uns, wir übernachteten wieder in görlitz, waren dann
am 15. früh 9 uhr in dresden und frühstückten wieder auf der Brühlschen
terrasse, wo wir verabredeter maßen mit kalchberg, frank und noch eini-
gen steyermärkischen deputirten zusammentrafen, in leipzig stieg ich ein
bischen mit Würth herum, übernachtete in erfurt (noch immer keine nacht-
trains), war am 16. schon um 8 des morgens in eisenach, mußte dort dank
den trefflichen Posteinrichtungen bis 2 sitzen bleiben und kam endlich müde
und matt am 17. um 8 uhr früh im russischen hofe in frankfurt an.
Am selben tage hatten wir gleich zwey vorbereitende sitzungen im kai-
sersaale unter dem vorsitze des Alterspräsidenten schott, worin über den
tag und die stunde der eröffnung, die frage, wer bey derselben das Präsi-
dium zu führen habe, etc. sehr tumultuarisch und unparlamentarisch ver-
handelt wurde. Wir gaben unsere legitimationen ab, machten einen Besuch
bey colloredo etc. nachmittags ging ich mit schmerling aus, eine Wohnung
vor der stadt für uns beyde zu suchen, denn er will, sehr klugerweise, das
Bundespalais nicht beziehen und seine stellung hier als eine ganz provisori-
sche ansehen, wir gingen deßhalb auch zu frau v. menshengen, welche uns
ein paar Wohnungen, u.a. eine im hause des ministers Blittersdorff, sehen
ließ, welche uns aber nicht zusagten. Abends war, wie täglich, Zusammen-
kunft sämmtlicher Abgeordneter im Weidenbusch, wo wieder gesprochen
und debattirt wurde. die große frage drehte sich um die Präsidentschaft,
die republikaner, welche doch ziemlich stark zu seyn scheinen (an 80 bis
1 der von hofrat karl v. hummelauer übermittelte österreichische Plan sah ein autonomes
lombardo-venetianisches königreich unter einem erzherzog als vizekönig vor. im Zuge der
verhandlungen gestand hummelauer die Abtretung der lombardei an sardinien-Piemont
zu, während österreich entgegen den englischen vorstellungen die Ansprüche auf vene-
tien nicht aufgab.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien