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Juni 1848
nach oesterreich mit dem ganzen Ansehen zurückkehren werde, welches
mir diese Wahl ohne Zweifel gibt.
Abends wurden wir von herrn mumm zu einem souper geladen, und die
frankfurter Bürger brachten uns dort einen glänzenden fackelzug mit der
obligaten Begleitung von reden und gesängen. gagern und soiron antwor-
teten, und so mußte denn auch ich trotz heiserkeit und sonstiger Abneigung
gegen alles öffentliche reden, welches mir noch immer eine bedeutende
scheu einflößt, meine standrede halten, worin ich von der einigkeit oester-
reichs und deutschlands etc. sprach, was mit großem Jubel aufgenommen
wurde. dann folgte ein großes souper, wo unser Aller gesundheiten unter
sehr schönen und geistreichen reden getrunken wurde, etc. ich erhalte nun
eine menge einladungen etc. zum theile von ganz fremden leuten und
werde eine Art von personnage, was mir lästig ist, da ich weder Zeit noch
lust habe zu dergleichen dingen, und ich nebstdem eine unüberwindliche
Abneigung gegen zwey dinge habe, welche damit unzertrennlich verbunden
sind, nämlich gegen das trinken und das öffentliche reden, letzteres muß
ich mir angewöhnen.
vorgestern als am geburtstage des kaisers gab schmerling ein großes di-
ner im russischen hofe, wieder mit toasts und reden, besonders schön spra-
chen gagern, Welcker, der alte prächtige Arndt und vor Allem dahlmann,
der das Andenken an erzherzog carl in rührenden edlen Worten feyerte.
ich brachte, um meiner rolle treu zu bleiben, einen toast auf das Wohl der
ungarischen nation, deren deputirte ebenfalls anwesend waren.
Wir arbeiten jetzt stark im verfassungsausschussse, und zwar an dem
kapitel der grundrechte des deutschen volkes, wobey sich über die form,
fassung und die größere oder geringere Ausführung größere discussionen
ergeben, als ich Anfangs dachte. nebstdem debattiren wir in Privatbespre-
chungen, jedoch nur in kleineren kreisen, und zwar sowohl unter uns als mit
dem Bundestag die frage wegen errichtung einer provisorischen central-
gewalt, welche jetzt bey weitem die wichtigste ist und nächster tage in der
nationalversammlung vorkommen wird. es sind mehrere Anträge in dieser
Beziehung bereits gestellt, die sich hauptsächlich darin unterscheiden, daß
die einen (die der linken) diese centralgewalt aus der versammlung hervor-
gehen lassen wollen, während wir es dem Bundestage zu überlassen geden-
ken. die form, in der wir übereingekommen sind, ist die, daß der Bundestag
auf die von der versammlung an ihn zu richtende Aufforderung (jetzt ist es
für ihn schon zu spät, um selbst die initiative zu ergreifen) seinen Plan mit-
theile, und zwar der eines triumvirates (wahrscheinlich schmerling, camp-
hausen und mathy), welches sich aus dem schooße der versammlung ein
verantwortliches ministerium zu wählen hat. ich sehe zwar noch nicht ganz
klar, was das triumvirat neben dem ministerium, was beyde gegenüber des
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien