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Tagebücher104
Bundestages für eine stellung anzunehmen haben werden, und auch die
competenz dieser provisorischen gewalt muß sehr genau bestimmt werden,
um zu verhindern, daß sie eine omnipotente regentschaft werde.
die Aufstellung einer solchen gewalt ist aber um so nothwendiger, als es
beynahe in ganz deutschland spukt, in Baden, Bayern, sachsen, am rheine
und namentlich in Berlin, wo man, ganz wie in Wien, durchaus nichts von
einer ersten kammer wissen will. Zudem der krieg in schleswig, in tyrol,
die verhältnisse in triest (wo neulich eine neapolitanisch-sardinische flotte
erschien, jedoch wieder abzog,a schmach genug für oesterreich, welches sich
von solchen mächten ins Bockshorn jagen lassen muß, dann die entsetzlich
verwickelten polnischen Angelegenheiten. endlich, und vor Allem, ist auf
die mitte dieses monats eine schilderhebung der republikaner angesagt, die
freyschaaren in frankreich sollen abermals in deutschland einfallen, und
hier in frankfurt soll um dieselbe Zeit eine versammlung sämmtlicher de-
mokratischer vereine in deutschland stattfinden, welche nichts geringeres
im schilde führt als einen Putsch gegen die nationalversammlung. Wir müs-
sen nun bey Zeiten an gegenvorkehrungen denken.1
Wien ist ärger revolutionirt als je, alle straßen stockhoch barricadirt, das
ministerium unter Aufsicht, montecuccoli, ferd. colloredo, Breuner, hye,
endlicher etc. theils flüchtig, theils gefangen, eine Art Wohlfahrtsausschuß
von Bürgern, nationalgarden und studenten, das militär abgezogen, und
Alles das, weil das ministerium die unbegreifliche stupidität hatte, im Au-
genblicke, wo die universität im Begriffe stand, sich friedlich aufzulösen,
mit gewaltmaßregeln, und noch dazu mit unzureichenden, die universität
schließen und die studenten, welche schon baus Wienb abziehen wollten, mit
gewalt entwaffnen zu wollen. Als sie dann den Widerstand sahen, gaben
die hundsfötter nach und opferten die rathgeber auf. diese letzte emeute
wird, so scheint es mir, Wien den hals brechen, die Provinzen werden sich
förmlich von Wien lossagen, wie sie es schon seit dem 15. may mehrfach
angedeutet haben, und Wien wird sich selbst überlassen werden, bis es de-
müthig zum kreuze kriecht. Da fürchte ich nichts, wohl aber richten sich
meine Besorgnisse nach innsbruck, daß nähmlich von den leuten, die dort
versammelt sind (Bombelles, Brandis, erzherzog ludwig etc.!!!!) ein reac-
tionsversuch gemacht werde. dann wäre es mit der monarchie zu ende.2
[frankfurt] 4. Juni Abends
die hauptsorge ist jetzt die errichtung einer provisorischen centralgewalt,
die nothwendigkeit derselben wird allgemein gefühlt, die schleswig’sche
a die klammer schließt nicht.
b–b eingefügt.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien