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Juni 1848
(wegen welcher Präsident Beseler jetzt hier war) und italienische frage, zu
welchen nächstens die schwierigste und häßlichste, die polnische, dazu kom-
men dürfte, indem frankreich miene macht, die Wiederherstellung Polens
aussprechen zu wollen, und bey unserer linken, welcher es theils um theore-
tische Principien, theils nur um verwirrung zu thun ist, vielen Anklang fin-
det (Arago, welcher in einer darauf bezüglichen specialmission nach Berlin
geht, war einige tage hier und verkehrte viel mit der linken), Alles dieses
erheischt dringend eine kräftige centralregierung, hierzu kömmt noch die
zunehmende schwäche und discreditirung der deutschen regierungen und
die unruhen, welche aller orten ausbrechen. darüber wären also Alle einig,
nur wollen die radikalen diese centralgewalt aus dem schooße der natio-
nalversammlung hervorgehen lassen, während wir uns deßwegen mit dem
Bundestage vereinbaren wollen.
über die form dieser centralgewalt habe ich in diesen tagen die Ansicht
geltend gemacht, daß das triumvirat aus Prinzen und nicht aus Privatleu-
ten bestehen solle. nur Prinzen haben eine stellung, welche sie über oder
wenigstens neben die nationalversammlung stellt, so daß sie nicht durch
ein mißtrauensvotum derselben oder auch nur durch wiederholte Angriffe
auf der tribüne gestürzt werden können, nur Prinzen endlich werden den
regierungen garantieen biethen und daher diese dazu bewegen, sich die-
ser centralgewalt unbedingt zu bequemen. Als candidaten sind nahmhaft
gemacht worden: erzherzog Johann, Prinz Waldemar von Preußen, Prinz
carl von Bayern, Prinz Bernhard von Weimar. heute Abend will man nun,
daß ich, und zwar schon morgen, nach innsbruck abreise, um den erzherzog
Johann zu bewegen, sogleich hierher zu kommen, denn es ist höchste eile
notwendig. morgen soll noch darüber conferirt werden, ich ginge in diesem
wichtigen momente ungern, wenn auch nur auf 8 tage von hier fort, und
habe dagegen geltend gemacht, daß ich zu sehr en vue sey, als daß meine
plötzliche geheimnißvolle Abreise nicht zu hundert suppositionen Anlaß ge-
ben würde. morgen wird sich das entscheiden.
gestern ist der Ausschuß zur Behandlung dieser frage niedergesetzt wor-
den, worin unsere Parthey wieder das entschiedene übergewicht (12 gegen
3) hat, leider wurde in meiner Abtheilung einer dieser 3, oberst meyern, ge-
wählt. diese Wahl hat mich wieder überzeugt, wie nothwendig es sey, meine
Abtheilung, der ich in diesen letzten tagen bey meinen vielen anderweitigen
geschäften beynahe fremd geworden bin, öfters zu versammeln, um einen
einfluß auf sie zu gewinnen.
eine andere dringende frage ist die der sicherung der nationalversamm-
lung gegen einen etwaigen Putsch der radicalen. die versammlung der de-
mocratischen vereine, die am 14. hier stattfinden soll, soll nachgerade den
liberalen selbst unheimlich werden, weßhalb sie beschlossen haben sollen,
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien