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Tagebücher110
einen diplomatischen Posten, am liebsten in england. Wessenberg soll jetzt
ein neues cabinett bilden, vielleicht gibt er mir da eine solche Bestimmung.1
übrigens herrscht in innsbruck vollkommene unthätigkeit, man sieht und
hört nichts von dort, und das ist sehr schlecht, wie wird das enden?
[frankfurt] 10. Juni
morgen früh fahre ich nach BadenBaden, um die Pfingstferien zu benützen,
bleibe montag dort und komme dienstag zu tische wieder zurück, ich freue
mich, einmal aus dieser stadt und aus den geschäften herauszukommen
und die frische luft Badens einzuathmen. es scheint hier wenigstens für
den Augenblick nichts zu befürchten zu seyn, die linke hat in masse einen
Ausflug nach rheinbayern gemacht, um während der Pfingsttage dort das
land aufzuwühlen, im großherzugthum Baden sieht es aber schlecht aus,
hecker ist in thiengen als Abgeordneter hierher gewählt worden!2
gestern war eine sehr interessante, vielleicht bisher die interessanteste
sitzung, es betraf die Angelegenheiten schleswig holsteins. die discussion
hatte zum erstenmale einen staatsmännischen Anstrich, vortreffliche red-
ner traten auf: dahlmann, Wurm, Waiz, schmerling, welcher den Bundestag
glänzend rechtfertigte (was mich sehr freute, da es eine gute vorbereitung
für die bevorstehende debatte wegen der centralgewalt ist), vor Allem aber
heckscher, am schlusse wurde eine energische erklärung der nationalver-
sammlung zu gunsten der schleswiger angenommen, ein Zusatz: daß der
friedenstractat (welcher in london zwischen england, deutschland, ruß-
land (!) und dänemark unterhandelt wird) der vorläufigen genehmigung
der nationalversammlung unterbreitet werden solle, ward verworfen, als
venedey, nach der geschäftsordnung zu spät, die namentliche Abstim-
mung begehrte, indem er daraus eine Principfrage machen wollte, gagern
benahm sich schwach, es entstand ein wahrer sturm, die mehrheit wollte
die namensabstimmung nicht zulassen, gab sie aber dann gleichsam aus
großmuth zu, und nach einer langen, fast zweystündigen Abstimmung er-
gaben sich 200 stimmen für, 275 gegen die vorläufige genehmigung!! Bey
der früheren Abstimmung über diese frage waren kaum 100 dafür aufge-
standen! soviel wirkt die einschüchterung der namentlichen Abstimmung.
die schleswiger stimmten perfid genug alle dafür, hätte die majorität sich
1 „Was sollte ich jetzt in oesterreich thun? mein moment ist nicht mehr da, oder eigentlich
er ist noch nicht da. doch gestehe ich aufrichtig, daß mit jetzt eine wichtige diplomatische
Anstellung (keine sinecur) lieber wäre als meine hiesige stellung, dieser ewige sturm der
Partheyen ermüdet mich, und ich glaube, daß ich mehr zum handeln als zum discutiren
geschaffen bin“ (Andrian an seine Schwester Gabriele, 10.6.1848; K. 114, Umschlag 662).
2 die am 7.6.1848 erfolgte Wahl von friedrich hecker im badischen Wahlkreis thiengen
wurde von der nationalversammlung nicht anerkannt, vgl. eintrag v. 16.6.1848.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien