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Juni 1848
lung zu entsprechen scheinen, auch jetzt noch zuzulassen. vorher hatte
auch gagern abermals gesprochen und sich ebenfalls für die Zulässigkeit
jener Anträge erklärt, aber aus ziemlich schwachen gründen, welche auch
von spätern rednern tüchtig abgefertigt wurden, so daß das gefühl einer
schlappe, welche er erlitten, ziemlich allgemein war.
über diese entscheidung soirons brach nun der sturm der linken von
neuem und mit doppelter heftigkeit los, sie werde nun auch ihrerseits
Amendemens stellen, und wirklich kamen deren sogleich eine ganze masse
der bübischesten Art ein: Jeder, der nur den Anschein einer verbindung
mit irgend einer fürstlichen Person habe, jeder, der Beamter sey oder
gewesen sey, sey von der Wahl des reichsverwesers ausgeschlossen, die
nationalversammlung solle ein comité zur Prüfung des lebenswandels,
charakters etc. aller deutschen fürsten einsetzen, etc. endlich erklärte
Auerswald, daß, wenn heckscher sein Amendement und die linke die ihri-
gen zurückzöge, er auch das seinige zurücknehmen wolle. heckscher bath
sich ein paar stunden Bedenkzeit aus, und so wurde die sitzung um 2 uhr
in der höchsten Aufregung bis 5 vertagt.
ich ging von da nach der mainlust, wo ich heckscher, Auerswald, schmer-
ling etc. fand und mit ihnen dort aß. es wurde unter uns ausgemacht, daß
heckscher zurückziehen solle, wo wir uns dann für den früheren schoder-
schen oder für den commissionsantrag entscheiden würden, jedenfalls viel
conservativere Anträge als jener heckschers, indem sie doch den regierun-
gen das vorschlagsrecht einräumen, ich begreife daher auch das manœu-
ver der linken nicht, und glaube, es sey bloße blinde gereiztheit.
um 5 ward die sitzung wieder eröffnet, und heckscher erklärte zu mei-
ner großen verwunderung (den grund habe ich noch nicht erfahren), daß er
seinen Antrag nicht zurückziehen könne, der sturm von Amendemens von
seite der linken dauerte fort, die Aufregung wurde immer größer, und die
gallerieen (lauter herbeygeschaffte mainzer, hanauer etc.) tobten dazwi-
schen. Als aber nun heckscher zum zweyten mahle die tribüne bestieg und
äußerte: die Amendemens der linken hätten den Beyfall der gallerieen,
noch ehe man sie kenne, da brach der spektakel los und wurde gränzenlos,
die linke wollte den vorsitzenden zwingen, ihn zur ordnung zu rufen, was
dieser nicht that, sie heulte, schrie, ballte die fäuste etc., kurz es wurde
so arg, daß soiron (der den kopf schon in der vormittagssitzung verloren
hatte) die sitzung auf eine halbe stunde suspendirte und nach verlauf der-
selben sie vollends aufhob. es wurden Anträge gestellt, morgen sollte ga-
gern oder ich praesidiren etc.
ich schäme mich des ekelhaften schauspieles, welches wir heute vor
ganz deutschland gegeben haben, vielleicht dient es dazu, unsere Parthey
fester zu organisiren, jedenfalls muß es die linke discreditiren.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien