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Juni 1848
resultate ganz zufrieden, indem kein Princip damit zugegeben worden ist
und mir dieser Beschluß noch viel unverfänglicher scheint, als wenn wir
uns die genehmigung eines von den regierungen uns zu machenden vor-
schlages vorbehalten hätten, endlich weil es nunmehr ausgemacht scheint,
daß erzherzog Johann morgen nach beendigter Abstimmung proclamirt
wird.
in Paris wird seit 2 tagen die stadt bombardirt, die Arbeiter gegen mi-
litär und nationalgarde. cavaignac ist dictator, die stadt im Belagerungs-
stande, foubourg s. Antoine und s. honoré sind in flammen, desto besser,
siegen die Arbeiter, so zerbröselt frankreich, siegt cavaignac, so hat es
mit der republik sein ende. Was wird unsere linke sagen? die so innig an
frankreich, weit inniger als an deutschland hängt? Am samstag noch riß
ravaux in einer enthusiastischen rede fast die ganze nationalversamm-
lung hin, durch allgemeines Aufstehen ihre sympathie für frankreich zu
bezeugen, nur ich blieb mit einer Art von Wuth sitzen, worüber mich dann
auch das reichstagsblatt von Blum derb abkanzelt, als seyen mir die kosa-
ken lieber als frankreich.
[frankfurt] 29. Juni Abends
erzherzog Johann ist heute zum reichsverweser ernannt und von gagern
feyerlich proclamirt worden, es war ein großer moment, den ich nie verges-
sen werde, die kanonen, das glockengeläute draußen, und dazwischen das
dreymalige donnernde hoch der versammlung. er hatte 436 stimmen, es
wurde namentlich abgestimmt und jeder Abgeordnete nannte seinen can-
didaten, die linke stimmte dagegen, 52 votirten für gagern, 32 für itzstein,
25 gar nicht, weil sie keinen unverantwortlichen reichsverweser wollten.
es wurde sodann beschlossen, die Wahl einer nach Wien abzusendenden
deputation von 7 Abgeordneten (mir viel zu wenig, ich hätte wenigstens
15 gewünscht, es wäre feyerlicher und würdiger gewesen) dem Bureau zu
überlassen, wir wählten also, und zwar: ich als führer der deputation, Ju-
cho als schriftführer, v. sauken, ravaux, v. rotenhan, francke, heckscher.
diese Wahl, welche so ziemlich alle Parteyen repräsentirt, wurde dann in
der sitzung, welche um 5 uhr wieder zu diesem Zwecke eröffnet wurde,
verkündiget und ohne Widerspruch angenommen.
Wir fahren morgen mittags ab, über regensburg, wir wollen uns nicht zu
sehr eilen, um dem erzherzoge Zeit zu lassen sich vorzubereiten, und den
regierungen, ihm ihre Zustimmung mitzutheilen. ich möchte es gerne so
einleiten, daß ich von linz aus einen Abstecher nach ischel machen könnte,
um den erzherzog franz carl, der jetzt dort ist, zu sprechen und ihn zu
vermögen, daß er gleich nach Wien komme und seinen onkel dort ablöse,
denn dieses ist die conditio sine qua non, damit erzherzog Johann seine
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien