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gemessen, daß wir als deputation der nationalversammlung dahin gingen,
und so wurden dann ravaux und heckscher abgesandt, welche ihnen beyde
ziemlich derb die Wahrheit sagten, u.a. sagte ihnen heckscher, sie sollten zu-
erst studiren, ehe sie Politik trieben etc., überhaupt war unsere Anwesenheit
in Wien sehr heilsam, und namentlich die ravaux’s, dessen mahnungen zur
mäßigung und ordnung, da sie von einem mitgliede der linken ausgingen,
einen besonders tiefen eindruck machten. Ähnliches sprachen diese beyden
bey einer, wieder sehr kindischen und lächerlichen, festlichkeit, zu welcher
man uns einlud, und die darin bestand, daß der statue kaiser Josephs 2.
eine dreyfarbige fahne in die hand gesteckt wurde, wozu wir wieder heck-
scher und ravaux deputirten. ich sprach bey solchen öffentlichen Anlässen
absichtlich nicht, was sollte ich sagen? dieses ekelhafte treiben billigen
konnte ich nicht, und ihnen rechtschaffen die leviten lesen mochte ich nicht,
es hätte auch in meinem munde (als dem eines mitgliedes der rechten und
bereits vielfach als Aristokraten verdächtigten) nichts gefruchtet.
Während heckscher und ravaux auf der Aula waren, hatten wir An-
dern eine conferenz mit doblhoff, Pillersdorf, und Wessenberg, wo das
nähere wegen der Abreise des erzherzogs, seine Proclamation an die Wie-
ner etc. festgesetzt wurde. Pillersdorf überhäufte mich mit seiner widerli-
chen freundlichkeit, wogegen ich kalt und förmlich blieb. Am selben tage
hatten wir großes diner bey hofe, wo alle minister, generäle, Behörden,
nationalgarde und das deutsche diplomatische corps geladen waren, wir
in unsern schwarzen fraks unter allen den uniformen und sternen, ich
saß rechts, heckscher (ich war darüber befragt worden und schlug ihn vor,
wie ich [ihn] schon früher dem erzherzog als minister empfohlen hatte)
links. erzherzog Johann brachte die gesundheit des kaisers und dann die
deutschlands aus, worauf ich mit einem toast auf den neuen reichsverwe-
ser erwiederte.
einen Abend soupirten wir Alle bey Alexander Bach, der eine ziemlich
zweydeutige Rolle zu spielen scheint, jedoch viel Einfluß in Wien hat. Tags
darauf fuhren die meisten von uns mit einem extrazuge nach gloggnitz
und wurden, wie ich hörte, mit ehren überhäuft, ich hatte keine Zeit dazu
und hasse überhaupt dergleichen spektakel, von denen ich mich in Wien
auch sonst, z.B. bey den festlichen vorstellungen, die uns zu ehren in den
theatern an der Wien und in der leopoldstadt stattfanden, möglichst
ferne hielt. ich war auch so mit geschäften, Besuchen, deputationen etc.
überhäuft, daß ich kaum zu Athem kam und nur einmal auf einen mo-
ment meine Privatwohnung besuchen konnte, um meine sachen zu ord-
nen. doch fand ich an diesem nämlichen tage Zeit, auf ein paar stunden
nach Baden zu fahren, dort besuchte ich flore und fand ein paar rudera
der alten Zeit, uechtritz, h. nostitz, e. Bethlen, carl und lad. reischach,
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien