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Tagebücher138
dann aber mit Weib und kind hieher zurückzukehren, verkündigte, worauf
ein unendlicher Jubel entstand.
so war denn der sieg errungen, und ich hatte gagern und seine Wür-
temberger1 outwitted. heute in der sitzung wurde dann die Botschaft des
reichsverwesers wegen der Bildung des neuen ministeriums und seine Ab-
reise verlesen, und nicht eine stimme erhob sich dagegen, ich war bereit,
wenn dieß nicht geschehen wäre, die tribüne zu betreten, die sache als
eine uns, die deputation, persönliche darzustellen, und im falle, daß wir
durch unser in Wien gegebenes versprechen unsere Befugnisse überschrit-
ten hätten, ein votum der mißbilligung gegen uns zu provociren. der erz-
herzog reiste dann gegen mittag ab, nachdem ich früher 2 mal, einmal al-
lein und dann wieder mit der deputation, bey ihm gewesen war. er theilte
mir das neue ministerium mit, welches doblhoff ihm so eben vorgeschlagen
hatte: Wessenberg, doblhoff, Bach, exner, schönhals, schwarzer, kraus,
hornbostel,2 ich bin ganz zufrieden damit, obwol es ebensowenig Bestand
haben kann als irgend ein anderes.
heckscher begleitet den erzherzog, welcher uns versprochen hat, längstens
in 14 tagen wieder hier zu seyn, in diesem sinne habe ich auch an doblhoff ge-
schrieben, es wird ihn in Wien wohl erzherzog franz Joseph ersetzen, in Wien
sieht es übrigens nach doblhoffs Berichten ziemlich gut aus, der reichstag
hält praeparatorische sitzungen, nur ungarn und croatien ängstigen mich, da
bricht der Bürgerkrieg nächstens aus, der alte haß der ungarn gegen oester-
reich kömmt durch die elende Politik der innsbrucker camarilla wieder zum
vorschein, und ich fürchte einen losreißungsversuch der ungarn.
[frankfurt] 17. Juli Abends
die Physionomie der hiesigen Zustände hat sich seit 3 Wochen sehr ge-
ändert, das vertrauen steigt (so auch die Papiere), die ruhe scheint sich
zu befestigen, die linke und die republik haben viel terrain verloren, die
gemäßigten ermannen sich, treten auf den kampfplatz und greifen ihre
gegner mit gleichen Waffen an. Auch in der versammlung bemerkt man
dieses, namentlich ist die gallerie ganz ruhig und scheint von ganz andern
leuten besetzt zu seyn als früher.
dagegen regt sich der Particularismus stark, namentlich in Preußen,
hannover und Bayern, die centralgewalt hat dann doch viele stutzig ge-
1 das linke Zentrum, das im Württemberger hof tagte. heinrich von gagern dagegen ge-
hörte zum rechten Zentrum, der casino-fraktion.
2 entgegen diesen Angaben traten franz exner und general karl v. schönhals nicht in das
mit 18.7.1848 ernannte neue ministerium ein. das unterrichtsressort übernahm (zusätz-
lich zum innenministerium) frh. Anton v. doblhoff, kriegsminister blieb graf theodor
Baillet de latour.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien