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August 1848
weinerliche theatralische leichenrede, die aber nichts als eine politische
diatribe war: er sprach von der wieder beginnenden reaction und pries den
todten glücklich, daß er es nicht erlebt habe, wie ein volk ein anderes volk
zu grabe getragen habe (nämlich wir gestern die Polen) etc. Wie unpassend
ort und veranlassung waren, fühlte Jedermann.
In der Stadt erzählt man, mirabile dictu, daß ich Gräfinn Bergen hei-
rathe!! als ob man jetzt Zeit dazu hätte! erzherzog Johann kömmt in diesen
tagen. der kaiser sollte am 26. nach Wien kommen, zu spät.1
die ärgste mißstimmung in Preußen (wo überhaupt die Armee eine im-
mer bedeutendere politische rolle zu spielen anfängt, und zwar im stock-
preußischen sinne) hat ein sehr ungeschickter, übrigens mit schmerling
combinirter Befehl des kriegsministers Peuker erregt, des inhaltes, daß
am 6. kommenden monats sämmtliche Bundestruppen dem reichsverwe-
ser huldigen sollten. Ganze Offizierskorps sollen schon dagegen protestirt
haben, und die erbitterung soll in Preußen sehr groß seyn, so zwar, daß ich
diesen Abend höre, general Below sey dem erzherzog entgegengeschickt
worden, um ihn von einem Besuche in Berlin abzuhalten, weil er da insul-
tirt werden könnte!
[frankfurt] 2. August Abends
samstag den 29., wo keine öffentliche sitzung war, hatte ich ein sehr hüb-
sches diner bey moritz Bethmann in seinem schönen garten. tags darauf
fuhr ich nach BadenBaden, in heidelberg war große volksversammlung,
die Linke en masse zugegen, ich sah die Anfänge, übrigens fiel das Meeting
schmälich aus, kaum 2000 menschen, viel dummes geschwätz etc., und am
ende wurden Blum und seine freunde besoffen weggetragen. die letzten
Zuckungen, jedoch sollte dieses schimpfen, toben und verdächtigen gegen
die nationalversammlung, welches diese herren systematisch bey allen
solchen volksversammlungen betreiben, denn doch einmal in der national-
versammlung gebührend geahndet werden.
die anderthalb tage, welche ich in Baden zubrachte, waren sehr ange-
nehm, ich fand viele Bekannte aus allen Weltgegenden: Berlichingen, col.
szechenyi, maltzahn, lotzbeck, gayling, Buol, saintJohn, marie mentzin-
gen, uexkülls, lankens, ozeroff, falkner, die horrocks etc. Am montag
er zwar vom vorwurf des hochverrats wegen „Aufreizung zur Beseitigung der staatsregie-
rung und der königlichen Autorität sowie des versuchs der einführung einer einheitlichen
verfassung in ganz deutschland“ freigesprochen, jedoch wegen Beleidigung in- und auslän-
discher Behörden zu einer Zuchthausstrafe verurteilt und blieb bis 1836 in haft. das urteil
wurde 1846 aufgehoben.
1 erzherzog Johann verließ Wien am 30.7.1848, der kaiserliche hof kehrte am 12. August
nach Wien zurück.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien