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Tagebücher146
hatten wir eine große Parthie auf das alte schloß, wo wir aßen und dann
Alle, damen und herrn, zu fuße zurückkehrten. Baden ist ein herrlicher
Aufenthalt.
Am ersten tage ängsteten mich die dumpfen gerüchte von einer nie-
derlage, welche schweizerblättern zufolge radetzky erlitten haben sollte,
desto mehr jubelte ich, als ich montag Abends erfuhr, daß der greise held
im gegentheile den glänzendsten sieg bey custozza erfochten habe, ein
sonnenstrahl in dieser trüben Zeit.
gestern früh verließ ich Baden und war um 3 hier.
hermann aus münchen ist an meiner statt zum vicepräsidenten gewählt
worden, ich habe daher jetzt mehr muße. heute wurde die Abschaffung
des Adels mit ziemlicher majorität verworfen, nachdem gestern, wie ich
hörte, eine masse unsinn, namentlich von oesterreichern, gegen den Adel
vorgebracht worden war. gestern Abend schien der Ausgang noch ziem-
lich ungewiß, ich hätte ein entgegengesetztes resultat hauptsächlich deß-
wegen beklagt, weil es uns als revolutionäre theoretiker hätte erscheinen
machen, uns daher in der öffentlichen meinung deutschlands herabgesetzt
und namentlich der preußischen Armee einen neuen stoff des mißvergnü-
gens gegeben hätte.1
denn dort sieht es noch immer übel aus, das Preußenthum tritt mit einer
Art von Wuth auf, wiewol man schon Anfänge einer reaction bemerkt, in
den rheinprovinzen und schlesien herrscht vollends der ganz entgegenge-
setzte geist, und Preußen könnte, wenn es nicht bald einlenkt, am ende
noch seine rheinprovinzen verlieren. namentlich trägt zu Preußens un-
zufriedenheit der fortdauernde schleswigsche krieg bey (der Waffenstill-
stand, über den sowol in deutschland als in dänemark so sehr geschrieen
wurde, ist nämlich hier verworfen worden, und Wrangel erhält nun 25.000
mann verstärkung aus Baden, Würtemberg, Bayern und auch aus oester-
reich2), welcher die ostsee und folglich den handel jener Provinzen sperrt,
sowie auch der durch Blums indiscretion veröffentliche entwurf der sub-
1 im rahmen der grundrechtsdebatte wurde der Zusatzantrag zur Aufhebung der standes-
privilegien, dass der Adel selbst aufgehoben sei, in namentlicher Abstimmung mehrheitlich
abgelehnt (282 gegen 167 bei 6 enthaltungen und 115 abwesenden Abgeordneten). Andrian
stimmte mit der majorität. Allerdings wurde in der zweiten lesung der grundrechte am
6.12.1848 „der Adel als stand abgeschafft.“ vgl. eintrag v. 6.12.1848.
2 Andrian drückt sich hier unklar aus. Am 31.7.1848 – Andrian nahm an der sitzung nicht
teil – berichteten die beiden reichsminister Anton v. schmerling und eduard v. Peucker
der nationalversammlung über den Abbruch der Waffenstillstandsverhandlungen mit
dänemark und die dadurch unvermeidliche Wiederaufnahme der kampfhandlungen. Als
vertrauensvotum wurde darauf der Antrag, ohne debatte „unter verdankung der eben
gehörten mittheilungen“ zur tagesordnung überzugehen, einstimmig angenommen.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien