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vermittlung in italien, vielleicht sogar im einvernehmen mit frankreich.
dieses scheint durchaus nicht übermäßig kriegslustig, und cavaignac gibt
die freundschaftlichsten versicherungen. mittlerweilen rückt radetzky im
sturmschritte vor, diesen Abend heißt es, mailand sey genommen. carl
Albert hat nun ebenfalls französische intervention angerufen. cavaignac
aber soll bloß mediation versprochen, dagegen die Abgesandten von mai-
land und venedig abgewiesen haben, da diese sich an sardinien übergeben
hätten, folglich nicht mehr selbstständig handeln könnten.
das ministerium arbeitet noch immer an seinem Programme und an der
ernennung der unterstaatssekretäre, welche, ganz gegen meine Ansicht,
entscheidende stimmen im ministerrathe erhalten sollen! Wo wird das hin-
führen? heute sind die gesandten ernannt worden, ich weiß nur soviel,
daß ich auch darunter bin, aber noch nicht, wohin? zu meinem großen ver-
drusse, denn ich habe todesängsten, daß es nach rußland sey. vorgestern
kam nämlich der hiesige russische Geschäftsträger Budberg zur Gräfinn
Bergen, um sie über mich zu befragen, und erzählte ihr, er habe mit lei-
ningen über den nach Petersburg zu schickenden gesandten verhandelt,
und da sey herausgekommen, daß nur drey menschen dazu geeignet wären:
heinrich gagern, Wallerstein und ich,1 da nun gagern nicht weg kann, so
fürchte ich sehr, daß es mich trifft, was mir sowol der schwierigen stellung
als deßwegen unangenehm wäre, weil rußland nicht der ort ist, um sich
für ein zukünftiges Portefeuille, sey es hier oder in oesterreich, populär zu
machen.
gestern, als an dem dazu bestimmten tage, wurde von den hiesigen
truppen dem reichsverweser feyerlich gehuldigt, dasselbe geschah in den
südlichen staaten, wenigstens soviel wir bisher wissen, in Baden, Wür-
temberg, nassau, beyden hessen, in Preußen dagegen ist die ordre Peu-
kers gar nicht verkündiget worden, weil man eine Weigerung der trup-
pen fürchtete. Peuker hat nach Berlin einen Brief zu seiner rechtfertigung
geschrieben, welcher, obwol augenscheinlich nicht für die öffentlichkeit
bestimmt, dennoch in allen Zeitungen steht, die ganze geschichte dürfte
Peukern wahrscheinlich seine stelle kosten. in Braunschweig hat es einen
krawall im deutschen sinne gegen den herzog gegeben.
heute kam die Amnestiefrage in der Paulskirche zur verhandlung, die
schon von Anfang an eine sehr hitzige war. soiron präsidirte, als aber Bren-
tano aus Baden den Prinzen von Preußen mit hecker in eine Parallelle [sic]
stellte, da erhob sich der furchtbarste scandal, den ich noch erlebt habe.
1 Zum gesandten in st. Petersburg wurde schließlich general Adolf v. Auerswald designiert
(vgl. eintrag v. 12.8.1848), er trat den Posten jedoch nicht an. er wurde während des sep-
temberaufstands in frankfurt am 18.9.1848 ermordet.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien