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Tagebücher156
erreicht wurde, und die Abstimmung geschah ganz in einer für oesterreich
wünschenswerthen Weise, was mir früher ziemlich zweifelhaft schien.1
diese deutschen Professoren haben eine ganz odiose sympathie für italien
und die italiener. ich ging zu radowitz, um ihm im nahmen der oesterrei-
cher zu danken.
radetzky hat mailand erobert, weiß gott, wo er jetzt ist, der kaiser soll
heute in Wien eintreffen, die ungarischen regimenter wollen dem unga-
rischen ministerio nicht gehorchen und marschiren ohne Befehl nach ita-
lien. dagegen habe ich Briefe aus Wien, die mich ein paar tage lang ganz
traurig machten, das ministerium, hauptsächlich Bach und schwarzer
und, was mich am meisten schmerzt, doblhoff, segeln im vollen Winde des
radicalismus – wohin? – –
um die verhandlungen wegen schleswig nicht zu erschweren, hat das
ministerium der provisorischen regierung den Wunsch ausgedrückt, daß
die auf den 15. einberufene constituirende versammlung vor der hand
nicht zusammentrete (confidentiell).
[frankfurt] 14. August
seit zwey tagen steige ich hier herum und langweile mich wie ein mops, es
stellt sich nämlich heraus, daß wir doch nicht vor der Ankunft des erzher-
zogs, also frühestens am 17. reisen können, indem dieser doch die dépêchen
etc. erst prüfen und unterzeichnen muß, überhaupt hat das ministerium
ihn bisher ganz ignorirt und als bloße unterschreibmaschine ansehen wol-
len. dem wird er aber nun, auch nach dem, was er mir selbst sagte, ein
ende machen, er ist nicht als bloßer prête-nom, sondern wegen seiner Per-
sönlichkeit zum reichsverweser gewählt worden.
ich hätte also sehr wohl mit nach köln gehen können,2 was, obwohl ich
kein freund von dergleichen hetzen bin, doch immerhin sehr interessant
gewesen wäre, statt dessen habe ich hier gar nichts zu thun, alle Welt ist
in cöln oder sonst verreist, und so warte ich mit großer sehnsucht auf den
Augenblick meiner Abreise. heckscher ist auch hier geblieben, und dieses ist
sehr gut, denn ich habe mir nach und nach doch eine Art von schriftlicher in-
struction erwirkt, wodurch sich meine mission unmerklich immer bedeuten-
der und daher auch dauernder gestaltet. das wußte ich auch gleich Anfangs
im voraus, wiewohl heckscher damals nur von Bekomplimentirung sprach.
1 Angenommen wurde die überweisung aller bezüglich des italienischen kriegs gestellten
Anträge und des Ausschussberichts an die Zentralgewalt in der erwartung, dass sie „in
dieser Angelegenheit die interessen deutschlands wahren werde.“ ein gegenantrag auf
sofortige intervention zur vermittlung eines Waffenstillstands und eines für beide teile
gerechten friedens blieb in der minderheit.
2 Zum dombaufest anlässlich der 600-Jahrfeier der grundsteinlegung.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien