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15930.
August 1848
ich hatte diesen Abend meine schlußconferenz mit heckscher über diese
und andere dinge. der erzherzog, den ich heute früh sprach, glaubt, daß
oesterreich die lombardey behalten könne, und daß unsere vermittelung
zu spät komme, also Alles schon abgeschlossen seyn werde. nous verrons,
ob es übrigens für oesterreich ein gewinn ist, die lombardey zu behalten,
das muß ich mir erst noch reiflich überdenken, ich glaube fast, nein.
Gräfinn Bergen ist gestern davongefahren, am Abende vorher hatte sie
mir noch gesagt, sie würde vielleicht doch erst heute, nämlich mit mir rei-
sen (was freylich, da ich erst morgen expedirt werde, doch nicht geschehen
wäre). ob sie das that, um sich den Abschied zu ersparen? und daß dieser
ihr näher ging, als sie es mich merken lassen wollte? ich glaube es. so wäre
denn wieder eine angenehme episode zu ende. schade. gestern und heute
war mad. divant hier, und wir hatten, d.h. nobili, vandersteen und co-
ronini, an beyden tagen recht hübsche diners mit ihr, sie ist pikant und
geistreich wie alle Pariserinnen von dieser classe.
london 30. August Abends
Am 19. mittags verließ ich frankfurt, fuhr mit der eisenbahn nach Biebe-
rich und von da per dampfschiff nach cöln, wo ich übernachtete. tags dar-
auf schlief ich in ostende und schiffte mich am 21. früh ein. die überfahrt
wird mir lange im gedächtnis bleiben, sie war so stürmisch, daß leute, wel-
che diese fahrt schon 99–100 mal gemacht hatten, sich keiner solchen erin-
nerten, ja es war eine Zeit lang wirkliche gefahr, daß die Wellen hoch über
das kleine eiserne dampfboot hinweg schlugen, und die matrosen schon
das rettungsboot in Bereitschaft setzten, ich lag unten in der cajüte und
litt fürchterlich, um 1 1/2 waren wir in dover, wo ich mich niederlegte und
ein paar stunden lang ausruhte, um 4 fuhren wir mit einem schnellzuge
ab und waren um 1/2 7 hier und bald darauf hier bey mivarts, Brookstreet.
seitdem ist mir die Zeit schnell, wenn ich auch nicht gerade sagen kann
besonders angenehm, vergangen. diese ungeheure stadt überrascht, zieht
aber nicht an, es ist etwas düsteres, unheimliches in ihr, solange man sich
in den prächtigen straßen, unter dem gewühle der menschen, vor den
herrlichen Kaufladen etc. herumtreibt, vergeht die Zeit im Nu, andere Res-
sourcen aber einer großen stadt, eines angenehmen leichten lebens wie
z.B. in Paris biethet aber london nicht, keine theater (die italienische oper
wurde bald nach meiner Ankunft geschlossen, so daß ich nur noch 2 vor-
stellungen sah, darunter eine von Jenny lind) noch sonst etwas. Zudem ist
die season zu ende und der fashionable world schon weggezogen, ich bringe
daher meine Abende nothgedrungen entweder in irgend einem schlechten
englischen theater oder im travellersclub zu, dessen einrichtung mir aber
trotz aller Pracht nicht behagt, diese clubs sind eigentlich nichts als speise-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band II
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- II
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 716
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien