Seite - 20 - in Über die Produktion von Tönen - Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
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sein, dass es nicht auffällt, wenn in der „Musikgeschichte Österreichs“ 5 Formen
des Musizierens wie Straßenmusizieren, Bettelmusizieren, Musizieren in der Ver-
gnügungsindustrie etc. nicht bzw. nur sehr kurz erwähnt werden, obwohl sie in den
jeweiligen historischen Perioden für Publikum und MusikerInnen gleichermaßen
große Bedeutung hatten. Auch der musikwissenschaftliche Begriff des „Musiklebens“
beschreibt nicht, wie man annehmen könnte, die gesamten musikalischen Akti-
vitäten einer Gesellschaft, sondern nur einen ganz bestimmten Ausschnitt davon.
In Sozialgeschichte und Ethnologie fehlt eine dem ästhetischen Wert von Musik
entsprechende normative Kategorie, die bestimmt, was untersuchenswert ist, weit-
gehend. Wenn überhaupt, rücken hier meist jene Formen des Musizierens in den
Vordergrund, die von anderen Disziplinen wie der systematischen bzw. historischen
Musikwissenschaft nicht behandelt werden. So finden sich hier Untersuchungen
zu DorfmusikantInnen und Blasmusik auf dem Land,6 Tanz- und Unterhaltungs-
musikerInnen,7 AmateurmusikerInnen 8 oder StraßenmusikerInnen.9 Darstellungen,
die mehrere Formen des Musizierens untersuchen oder gar aufeinander beziehen,
sind selten. Musizieren wird so zu einer Kollektion nebeneinander ablaufender
Praktiken – hier die VirtuosInnen, dort die AmateurmusikerInnen –, die nicht
zueinander in Beziehung gesetzt werden.
Eingedenk dieser Problematik, historische Prozesse ‚des Musizierens‘ zu beschrei-
ben, soll hier dennoch ein kurzer Überblick über Entwicklungen des Musiklebens
(im breiten Sinne) in West- und Mitteleuropa zwischen dem Ende des 18. und dem
Beginn des 20. Jahrhunderts gegeben werden, die maßgeblich für die Situation
am Beginn der Zwischenkriegszeit waren. Dabei stehen jene Entwicklungen im
Vorder grund, die nicht nur für ganz spezifische Musikformen
– etwa die bürgerliche
Hausmusik oder die Sinfoniemusik – Bedeutung hatten, sondern für eine Vielzahl
unterschiedlicher Formen.
Ausgrenzungsmechanismen im Hinblick auf das, was nicht dieser Voraussetzung entsprach,
also jener Musik, der man einen höheren ästhetischen Wert nur deswegen nicht absprach, weil
man dessen Fehlen für so offensichtlich hielt, dass sich die Debatte nicht lohnte.“ (Walter,
Musikwissenschaft, 298) Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Musikwissenschaften
gegenwärtig auch Subdisziplinen wie Musikethnologie oder Popmusikforschung beinhalten.
Wie im zitierten Artikel jedoch ausgeführt wird, ist die Rolle dieser Subdisziplinen inner-
halb der Musikwissenschaften gerade deshalb ambivalent und unklar, weil ihre Protagonisten
ihren Gegenstand eben nicht über ästhetische Urteile konstituieren.
5 So etwa der Titel einer Reihe von Rudolf Flotzinger/Gernot Gruber.
6 Ecker, Melodie; Zwittkovits, Pflege.
7 Schröder, Tanz- und Unterhaltungsmusik.
8 Pape, Amateurmusiker.
9 Hawkins, Industry.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur