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Stärkung des Amateurtums in der Volksmusik durchaus als österreichisches Spezi-
fikum bezeichnet werden.51
Die weiter oben beschriebene zunehmende Unterscheidung zwischen AmateurIn-
nen und BerufsmusikerInnen trifft auch auf Österreich zu (unter Berücksichtigung
der verzögerten Entwicklung im Bereich der Kunstmusik). Sowohl die soziale Stel-
lung als auch das Einkommen jener MusikerInnen, die Musizieren als Hauptberuf
ausübten, war – mit Ausnahme mancher VirtuosInnen – schlecht. So konstatiert
Friedrich Heller für das späte 19.
Jahrhundert: „Die soziale Lage der professionellen
Zivilmusiker (die sich zumeist, saisonbedingt, in Theatern und Unterhaltungskapellen
ein beschämend niedriges Salär verdienten) schien
[…] an einer trostlosen Talsohle
angelangt.“ 52 Neben einem Überangebot an zivilen (Amateur- und Berufs-)Musi-
zierenden waren an diesem „Musikerelend“ (so die zeitgenössische Bezeichnung)
auch die über 100 Militärkapellen der Monarchie 53 maßgeblich beteiligt, was wie-
derum eine Konsequenz der allgemein starken staatlichen Förderung des Militärs
war. Diese Militärkapellen musizierten nicht nur innerhalb ihres eigentlichen Auf-
gabenbereiches, sondern gaben immer wieder auch öffentliche Platzkonzerte oder
traten in Gasthäusern und Kaffeehäusern auf. Nachdem sie aufgrund ihrer ‚Subven-
tionierung‘ durch den Staat sehr niedrige Honorare verlangen konnten, wurden sie
von den ZivilmusikerInnen als unlautere Konkurrenz gesehen. Die Bekämpfung der
Militärkapellen war für die Ende des 19.
Jahrhunderts entstandene Musikergewerk-
schaft 54 eine der zentralen Aufgaben. So enthielt jede Ausgabe der Gewerkschafts-
zeitung bis in die 1910er- Jahre eine eigene Rubrik mit dem Titel „Die geschäftliche
Tätigkeit der Militärkapellen“.
Die Internationalisierung des Musikmarktes wurde auch in Österreich voran-
getrieben. Das oben beschriebene klassische Repertoire der Kunstmusik mit den
‚Gründungsvätern‘ Haydn, Mozart und Beethoven wurde im 19. Jahrhundert in
ganz Europa verbreitet. Im Bereich der Unterhaltungsmusik wurden österreichische
Operetten etwa von Franz Léhar oder Leo Fall zu Beginn des 20. Jahrhunderts in
viele europäische Länder exportiert. Besonders in Deutschland war zu dieser Zeit
51 Flotzinger, Geschichte, 167.
52 Heller, Zeit, 105.
53 Ebd., 131.
54 Als Vorgängerorganisation der sozialistischen Musikergewerkschaft war 1872 der Wiener
Musikerbund gegründet worden, der bereits 1873 von den Behörden aufgelöst wurde. Es
folgte 1874
– mit gleichem Personal
– die Gründung des Wiener Musikvereins (etwas später
unter dem Namen Wiener Musikerbund). Überregional tätig und in zunehmendem Maße als
gewerkschaftliche Organisation konstituiert wurde der Verband ab 1896 als Österreichisch-
Ungarischer Musikerverband. Vgl. für eine (tendenziöse) Übersicht der Geschichte der
Musiker gewerkschaft Schweinzer, Gewerkschaft.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur