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in der Artistengewerkschaft. Auch formale Qualifikationen wie Konservatoriums-
abschlüsse spielten keine Rolle in der Organisationslandschaft des Musizierens.208
Teilweise wichtig waren die den Musizierenden zugeschriebenen Fähigkeiten. So
führten sowohl der Musikerverband als auch die Internationale Artisten- Organisation
Prüfungen der musikalischen Fähigkeiten ein, die über die Aufnahme in die Orga-
nisation entschieden.209 Eine durchgehende Differenzierung nach Fähigkeiten, also
Organisationen für ‚gute‘ und Organisationen für ‚nicht so gute‘ MusikerInnen, gab
es allerdings nicht. Die abgewiesenen Musizierenden mussten, so sie erwerbsmäßig
tätig waren, unorganisiert bleiben.
Während also die Unterscheidungen zwischen ‚guter‘ und ‚schlechter‘ Musik,
qualifiziertem und unqualifiziertem Musikmachen oder zwischen Jazz und Schlager,
Kunstmusik und Unterhaltungsmusik etc. keine Rolle spielten, war die Ausübung
des Musizierens als Erwerbsarbeit oder Nicht- Erwerbsarbeit maßgeblich für
die Organisationslandschaft.
Manche Formen des Musizierens wurden in der Zwischenkriegszeit nur schlecht
oder gar nicht von Organisationen vertreten. Straßen- oder Bettelmusizieren – ob
in der Stadt oder auf dem Land
– war zwar Thema zahlreicher Zeitungsartikel und
sogar einer parlamentarischen Interpellation,210 doch die Vertretung ihrer Interessen
reduzierte sich meist auf Eingaben einzelner Betroffener an die Behörden. Allein
diese Tatsache zeigt, wie sehr diese Musizierformen um ihre Legitimität kämpfen
mussten. Diese Legitimitätskrise war kein alleiniges Merkmal der Zwischenkriegs-
zeit, wie bereits die den Lizenzen zugrunde liegenden Hofkanzleidekrete zu Beginn
des 19. Jahrhunderts und die darauffolgenden kontinuierlichen Angriffe auf diese
Musizierformen zeigten. Vergleichsweise gut vertreten waren hingegen jene Musi-
zierenden, die sich am Schema des Berufs orientierten – sie bekamen 1934 mit der
Musikerverordnung sogar ein eigenes Gesetz – sowie jene, die ‚traditionelles‘ Ver-
einsmusizieren auf dem Lande betrieben.
208 Ein dementsprechender Versuch war die Gründung des „Vereins der akademisch gebil-
deten Kapellmeister und Tonkünstler“, der allerdings keinen großen Erfolg hatte (Öster-
reichisches Staatsarchiv, AVA, Bundesministerium für Unterricht, Musik in genere, 1927,
Zl. 13.300, Vereinigung musikakademisch gebildeter Kapellmeister Österreichs, Schreiben
vom 25. April 1927).
209 Österreichische Musiker- Zeitung (1928), Nr. 6, 32 – 33.
210 Interpellation des Abgeordneten Dr. Licht und Genossen, Beilage 3064/I, betreffend die Hand-
habung der behördlichen Aufsicht über die krüppelhaften Bettelmusikanten und Maßnahmen
gegen deren Auswucherung, 132. Sitzung des Abgeordnetenhauses, 28. Dezember 1912.
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur