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nicht näher darauf eingegangen, wie das Erlernen des Violinspielens verlief und
wie sich der/die Erzählende in diesen Prozess einbrachte, denn was notwendig war,
um Violinspielen zu können, war immer dasselbe. Der Kontrast zwischen persön-
licher Kreativität und dem Erlernen von Fertigkeiten kann beschrieben werden
als künstlerisches versus handwerkliches Musizieren – eine Kategorisierung, die
auch in anderen zeitgenössischen Quellen relevant war: „War früher Künstler
und Handwerker in einer Person vereinigt, so bilden sie jetzt die Gegenpole bei
der Entstehung des Werkes.“ 76 Während jeder/jede, der/die eine Ausbildung hin-
ter sich gebracht hatte, HandwerkerIn sein konnte, war das KünstlerIn- Sein nur
wenigen vorbehalten.
Jeweils verschiedene Formen von Ausbildung charakterisierten die unterschied-
lichen Bezugnahmen auf Musizieren als Kunst. KünstlerInnen nahmen Privatunter-
richt bei Berühmtheiten. Weniger wichtig war die Ausbildung in Konservatorium
oder Musikschule. Der Privatunterricht bei (ehemaligen) Musizierenden, die selbst
als KünstlerInnen erfolgreich waren, war am besten geeignet, um das eigene Handeln
als Künstlerisches charakterisieren zu können. Zum einen handelte es sich dabei
um einen traditionellen Weg, musikalischer/musikalische KünstlerIn zu werden.
Zum anderen erlaubte der unmittelbare und persönliche Kontakt mit (ehemaligen)
großen KünstlerInnen, sich auf diese zu berufen, sich als Erbe/Erbin vergangener
Größen zu präsentieren und die Weihen des Künstlertums von ihnen zu empfangen.
Diese Konsekration musste aufgrund der großen Bedeutung von Individualität per-
sönlich und unmittelbar erfolgen.77 Musikschule und Konservatorium waren dafür
wegen ihrer unpersönlichen und kollektiven Vermittlung musikalischen Wissens
weniger geeignet. Stark regulierte und offiziell verwaltete Ausbildungen verliehen
zwar einen gewissen Status, die offiziell anerkannteste Form Musik zu machen,
Musik als Kunst basierte aber vor allem auf wenig geregelten Ausbildungen, deren
Wert nicht auf ihrer staatlichen Anerkennung beruhte.78 So schloss keiner/keine der
fünf wichtigsten 79 Musizierenden des Samples, die sich positiv auf Kunst bezogen,
eine Konservatoriums- oder Musikschulausbildung ab, hingegen nahmen alle von
ihnen bei Berühmtheiten Privatunterricht. Was Privatunterricht bei Berühmtheiten,
Musikschule und Konservatorium allerdings vereinte, waren die angenommene hohe
Qualität des Unterrichts und die Erwartung, ein anspruchsvolles Musikrepertoire
76 Kiener, Kunst, 2997 f. Vgl. auch einen Auszug aus einem arbeitsgerichtlichen Urteil: „Musik
ist Kunst, nicht Handwerk.“ (Bundesministerium für Justiz (Hg.), Sammlung. 6. Jahrgang,
156).
77 Vgl. zur Konsekration auch Bourdieu, Regeln, 363 f.
78 Vgl. auch Fend/Noiray, Introduction, 7.
79 Gemessen am CTR-Wert ihrer Erzählungen, siehe Kapitel 4.3.
Sich schöpferisch entwickeln oder handwerkliche Fertigkeiten lernen 119
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Über die Produktion von Tönen
Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Titel
- Über die Produktion von Tönen
- Untertitel
- Beziehungen von Arbeit und Musizieren, Österreich 1918 – 1938
- Autor
- Georg Schinko
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20802-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 310
- Schlagwörter
- Music-making, Musician, Work, Vocation, Art, Austria, Correspondence analysis, Life Writing, Interwar period --- Musizieren, Musiker, Arbeit, Beruf, Kunst, Österreich, Korrespondenzanalyse, Lebensgeschichtliche Erzählung, Zwischenkriegszeit
- Kategorie
- Kunst und Kultur