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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Ernst Seibert136 senenwelt mit ihren Widersprüchen eines entfremdeten Daseins ist nach der Mit- te des 19. Jahrhunderts nicht mehr das erstrebte Ziel aller Entwicklung, Bildung und Erziehung, sondern wird nun zunehmend dem (fiktionalisierten) kritischen Blick auch und gerade des Kindes unterworfen, das sich der sozialgeschichtlich bedingten Entfremdung zu verweigern sucht. Wesentliches Merkmal der KJ-Litera- tur-Klassiker von Alice (1865, dt. 1869), Pinocchio (1880, dt. 1905), Mowgli (1894, dt. 1889), Peter Pan (1904, dt. 1948) und Nils Holgersson (1906, dt. 1907/08) bis hin zu Pippi Langstrumpf (1945) beziehungsweise deren Gemeinsamkeit ist auf manifester Ebene mehr oder minder deutlich das Infragestellen von Autorität und im latenten Hintergrund die Verweigerung, sich dem auf die Industrialisierung zurückzufüh- renden Entfremdungsprozess zu fügen. Zu diesen beiden schon mehrfach erläuterten Positionen, der kindheitstheo- retischen und der tiefenpsychologischen, kommt nun als dritte bekräftigend eine Position hinzu, die zwar in der gegenwärtigen allgemeinen literaturtheoretischen Diskussion breiten Raum einnimmt, bislang jedoch in der kinderliteraturtheore- tischen Auseinandersetzung, zumal in Überlegungen zur österreichischen KJ-Li- teraturgeschichte, noch kaum Platz gegriffen hat: Gemeint ist die postkoloniale Literaturtheorie. Dabei ist zum einen von der Beobachtung auszugehen, dass die als österreichische KJ-Literatur-Klassiker in Frage kommenden Autorinnen und Autoren wie Charles Sealsfield, Marie von Ebner-Eschenbach, Felix Salten, Alois Sonnleitner, Franz Karl Ginzkey und Franz Molnar (chronologisch nach Geburts- jahren geordnet aus den Gebieten der ehemaligen Kronländer – Böhmen, Mähren, Ungarn) nach Wien migriert sind und wohl nicht ganz zufällig kj-literarische Nar- rative gewählt haben, um eben diese soziale Differenz zwischen den peripheren Herkunftsländern und der Reichs- und Residenzhauptstadt zu thematisieren. Zum anderen ist schlicht zu konstatieren, dass die Kronländer der Habsburger Monar- chie generell den Status von semikolonialen Provinzen hatten13 und dass die Klas- siker der österreichischen KJ-Literatur offensichtlich auch ein nationalitätenpoliti- sches Spannungsfeld widerspiegeln. Wir haben es also in Österreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dann bis in die Zeit der Ersten Republik beziehungsweise des Ständestaates (1918–1938) mit einer kj-literarischen Situation zu tun, die sich unter völlig ande- ren Rahmenbedingungen entwickelt als in der Weimarer Republik u.a. mit dem Phänomen, dass die meist sehr frühen Übersetzungen der internationalen kin- derliterarischen Klassiker (s.o.) in Österreich wesentlich anders rezipiert wurden als in Deutschland. In Deutschland ist nach Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter (1845) in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts als eigentlicher und bleibender Klas- siker Wilhelm Buschs Max und Moritz zu nennen, und eben dieses ist eigentlich kein Kinder-, sondern ein »Anti-Kinderbuch«.14 Emmy von Rhoden, die mit ihrer Trotzkopf-Serie 1885 begann, fällt eben wegen der Serienhaftigkeit aus dem engeren Begriff der herausragenden Einzelwerke, und noch mehr Karl May, der mit seinen abenteuerlichen Großwerken als Jugendbuch-Klassiker so ziemlich als Einziger unter all den Genannten insofern außerhalb der meisten Kriterien steht, als seine Protagonistinnen und Protagonisten Erwachsene sind. Damit bestätigt sich einmal 13 | Vgl. etwa Feichtinger, Johannes/Prutsch, Ursula/Csáky, Moritz (Hg.): Habsburg post- colonial. Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis. Innsbruck u.a.: Studienverlag 2003. 14 | Hurrelmann: Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur, S. 48ff.
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Titel
Transdifferenz und Transkulturalität
Untertitel
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Autoren
Alexandra Millner
Katalin Teller
Verlag
transcript Verlag
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Abmessungen
15.4 x 23.9 cm
Seiten
454
Schlagwörter
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Kategorie
Kunst und Kultur
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