Seite - 71 - in Über Bücher reden - Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
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© 2021 V&R unipress, Brill Deutschland GmbH
ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
jeweiligen AutorInnen-Karriere; der Kommentar eines Verlagswechsels spielt
ebensowiedieMutmaßung, einander ähnelndepositiveRezensionenbasierten
auf guten Beziehungen der AutorInnen, damit, Einblick in betriebliche Struk-
turen zuhaben.GleichzeitigwerdendieQuellen der Informationhäufigwenig
eingeordnetundnur inAusnahmefällenkommentiert.
Eine stillschweigende Vereinbarung besteht darin, dass eigene und fremde
Einschätzungen differenziert werden. Lesekreisen geht es um ihre individuelle
Meinungsbildung. So bezeichnet eine Referierende ihre Vorstellung eines Ro-
mansals „wenn ichdas gleich anfügendarf, gefärbt,weil ich einfach sowasvon
WAHNSINNIGbegeistertbin“,21einandererbetontscherzhaft,eigeneGedanken
indiePräsentation „rein geschwindelt“ zuhaben.22AusAngst vor etwaigerBe-
einflussung recherchierenmancheMitglieder erst nach der Lektüre. Die Vor-
bereitungderPräsentationhatAuswirkungenaufdieLektüre.Gleichzeitigwird
im Zusammenhang von Wissen, Erwartungshaltung und Wahrnehmung des
Textesdeutlich,dasseinVorher/Nachhernicht trennscharferuierbar ist–weder
von uns ForscherInnen noch in der Introspektive. Eine Referierende begegnet
derVerwunderungder restlichenRundeüberdieGenrezuordnungdes von ihr
präsentierten Buchs folgendermaßen: „Sehe// ich so. Viele andere auch. Oder
vielleichthabenesdieanderengesehen,undichhabeesgelesenunddannhabe
//ichmirgedacht,esisteinKrimi.“23InformationenundTheorien,mitdenenein
Textwahrgenommenwird, sind konzeptionelle und interpretative Rahmen im
Erkenntnisprozess.Mankann sie alsWissenbegreifen,mit demmansichdem
jeweiligen Text nähert, als eine ArtWerkzeug, mit demman denkt.Wenn sie
verinnerlichtwurden,geschiehtdies,ohnesichdessenimmerbewusstzusein,sie
befindensich imHintergrundbewusstsein;HarryBroudyspricht von ‚Knowing
with‘:24 Beim Lesen ist die Aufmerksamkeit auf den Text gerichtet und nicht
darauf, was Lesende zudessenVerständnis in derHandhaben.25Dasbedeutet
nicht, dass diesesWissen nicht zu einemanderen Zeitpunkt in den Fokus der
Aufmerksamkeit gerücktwerdenkann.
21 Bw4 inG3/D2,Z. 1728.
22 „Bw1: //Ja,// das sindabernichtDEINEGedanken,oder?
Bm1:Nein,das //mitder/dasmit störrisch/ //
Bw5: //Das istdrinnengestanden.//
Bm1: stoisch, //ehrlich,mitunmöglicherFrau/ //
Bw6: //Ja, das sindseineGedanken,//hat er ja //gesagt.//
Bm1: //dashabe ich// reingeschwindelt. //Dasgebe ichzu. (lacht).“ (G1/D4,Z. 104–109)
23 DieAussagebeziehtsichaufEvelynGrills2013imResidenzVerlagerschienenenRomanDer
SohndesKnochenzählers. (G1/D2,Z. 149)
24 Broudy1970.
25 DaherhatSelbstbeobachtungzurErforschungvonLesestrategien–wieetwabeiCharlton
et al. 2004 – bei allenmethodologisch auslotbarenMöglichkeiten bewusstseinsphänome-
nologischeGrenzen.
LesekreisealsOrtedesWissens 71
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Titel
- Über Bücher reden
- Untertitel
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Autor
- Doris Moser
- Herausgeber
- Claudia Dürr
- Verlag
- V&R unipress
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 262
- Kategorie
- Lehrbücher