Seite - 153 - in Über Bücher reden - Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
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© 2021 V&R unipress, Brill Deutschland GmbH
ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
MuttertreibtWidmerwiedereinraffiniertesSpielmitdenSchreibmusterneiner
Biographie, die so tut, als ob […], dabei aber den Gesetzen der Fiktion ge-
horcht.“23Wirklichkeitsnähewirdnurdannpositivhervorgehoben,wennaufdie
allgemeinen historischenBezüge desRomans verwiesenwird, die drei Kritike-
rinnen und Kritiker aus dem Roman ableiten. So liest Rupert Koppold den
Roman „als Rückblick (und eine Art Schlüsselroman) auf das intellektuelle,
politische und künstlerische Leben in der Schweiz des zwanzigsten Jahrhun-
derts“.24Ebenfalls imZusammenhangmit der dominierendenFragenachdem
Verhältnis vonRealitätundFiktionundderdamit verbundenenBewertungder
formalenQualitätdesWerks stehtdieBemerkungvonPiaReinacher, dass Idee
undformalesKonzeptdesBuchsein ‚riskantesWagnis‘gewesenwären,dasder
Autorjedochbravourösgemeisterthätte:„DiesesSzenariohätteeinlarmoyantes
Nostalgiebuchabgebenkönnen: eine literarischeWiedererweckungderversun-
kenenKindheitundeinenempfindsamenBewältigungsversuch.Davonistkeine
Rede,ganzimGegenteil.“25DerüberwiegendeTeilderKritikenbetontdenengen
formalen und thematischenZusammenhangmit demRomanDerGeliebte der
Mutter.DerVater-Romanwürdedie „Leerstelle“ füllen, diedas vorhergehende
Werk geöffnet hätte.26 Fünf RezensentInnen empfehlen direkt die zusätzliche
Lektüre des ‚Mutter-Romans‘, da sich daraus ein deutlich vollständigeres oder
tieferes Verständnis des ‚Vater-Buchs‘ ergebe.27Auch die Lesegruppe verfolgt
diese Spur, knüpft aber auchnoch an anderenTexten an.Nur zweiMitglieder
haben denMutterroman gelesen (vgl. G2/D4/B11, Z. 252; B1, Z. 663–684). Die
GruppenleiterinzitiertausdemInternetberichteinesSchülersvonUrsWidmers
Vater (vgl. G2/D4/B1, Z. 153–161) und greift auf ein drittes BuchWidmers zu-
rück, das Buchdes Sohnes (Reise an denRand desUniversums), das ihr etwas
mehr Informationen zumSohn-Vater-Verhältnis brachte sowie dieGewissheit,
dasssichderSohnmitsichselbstauseinandergesetzt(vgl.G2/D4/B1,Z.455–467)
und„offenbar selberauchgemerkt“hat,„dassernochnichtvorgekommenwar
indenBüchern.“ (G2/D4/B1,Z. 461)
DieBeurteilungderFiguren,seiesdiedesVaterswiediederMutter,variiertin
denBesprechungendesRomans, diebei derFigurenbeschreibunggroßteilsdie
Lektüreerfahrungmitdem ‚Vorläufer‘-RomanüberdieMuttermiteinbeziehen.
ExplizitemoralischeWerturteile über dasVerhaltender Figuren finden sich in
vierRezensionen.Nur in einerwerdenderMutternegativeAttributewieKälte,
Egozentrismus bzw. Gleichgültigkeit ihren Mitmenschen gegenüber zuge-
23 Lohs2002.
24 Koppold2004; vgl. auchMagenau2004undGross2004.
25 Reinacher2004.
26 Kospach2004.
27 Braun2004,Domsch2004,Lerch2004,Reinacher2004undWidmer2004.
LiterarischeWertungen imVergleich 153
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Titel
- Über Bücher reden
- Untertitel
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Autor
- Doris Moser
- Herausgeber
- Claudia Dürr
- Verlag
- V&R unipress
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 262
- Kategorie
- Lehrbücher