Seite - 174 - in Über Bücher reden - Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
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ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
ckelten Konventionen der Literaturkritik – zumal innerhalb enger geopoliti-
scher, ökonomischerundsoziokulturellerGrenzen–werdendurchdieErosion
ebendieserRahmenbedingungen,wennnicht abgeschafft, sodochmindestens
neudefiniert.
WenndieSuchenachkritischenKategorien,dieRelevanzfüreineGesellschaft
besitzen, durch Selbstbeschreibung und Selbstvermessung ersetzt wird, indem
etwa die eigenen anfallenden Daten bei der elektronischen Lektüre für Aus-
wertungundRankingszurVerfügunggestelltwerden,verändertdasdieArt,wie
über Literatur gesprochen wird oder werden kann, grundlegend. Solche Ent-
wicklungen, ebenso wie Verfahren kollektiver oder gar kollaborativer Litera-
turrezeption und -kommunkation, sind Teil einer Deprofessionalisierung von
Literaturkritik,abernichtderenUrsache.IndenKommunikationsprozessen,die
vonLiteraturmotiviertwerdenoder literarischeTexteundEreignisse zu ihrem
Gegenstandmachen, ist durchdie sich in alle Lebens-undKulturbereiche aus-
wirkende digitale Transformation eine starkeAusdifferenzierungder Funktio-
nenauszumachen,die literaturkritischeKategorienhaben.VielfältigeVarianten
vonSocialReading, alsohierarchisierenderBewertungsplattformen, kollektiver
Lektürenoder kollaborativerDiskussionsprozesse, tragendazubei, treten aber
nicht an die Stelle herkömmlicher Literaturkritik. Imbesten Fall erweitern sie
ihreMöglichkeiten.Häufiger zeigen sie, wie soziale Aggregation,mediale Dis-
ruptionenundkritischerDiskursnichtmiteinander Schritt haltenkönnen.Das
mussmannichtbeklagen, zeigtesdochnur,dassetwadurchFormendesSocial
Readingdie Literaturkritik in ihremSpektrumerweitertwerdenkann, sie aber
nichtvollständigabgelöstoderüberflüssiggemachtwird.Wichtiger ist,dassdie
Deprofessionalisierung und Professionalisierung des literaturkritischen Dis-
kurses– invielenverschiedenenMedienzugleich–eindynamischesVerhältnis
eingehen,dassichnichtmehralleinaufdieklarenHierarchienvonGatekeepern
undMeinungsführern stützt, sondern situativ, bezogen auf (wechselnde) Ziel-
gruppen,NischenundEreignissewirkt.
Kritikkann inMedienundFormendieAufgabezukommen,dienotwendigen
Unterscheidungenmachenzukönnen,HilfestellungbeiderMeinungsbildungzu
leisten, also diskursive Probehandlungen der Selbstgestaltung zurVerfügung zu
stellen.AberMedienundFormenändernsich.ObessichlohntvonneuenFormen
zusprechen,hängt vonderPerspektiveabundvondenKriterien,diedazuQua-
litäten formulierensollen.WenndieseKriteriennunständigneuvereinbartwer-
den, weil es sich bei diesenQualifizierungen um einen sozialen Kommunikati-
onsprozesshandelt, istdieFormnurdas,wasdenProzess inGanghält.
WasLesenalsKulturtechnikimSinneeinersozialenPraxiswarundist,wasfür
Möglichkeitenoder ebenauchFallendarin stecken, kommtdemEvergreenvom
Lesen als einsamer Tätigkeit nicht in den Sinn. Stattdessen kannmandasVer-
hältnis vonTransparenzundKontrolle indenBlicknehmen,wennLesen inder
GuidoGraf174
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Titel
- Über Bücher reden
- Untertitel
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Autor
- Doris Moser
- Herausgeber
- Claudia Dürr
- Verlag
- V&R unipress
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 262
- Kategorie
- Lehrbücher