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1 DIE UMSETZUNG DER THUN-HOHENSTEIN’SCHEN
REFORMEN58
haften) -reformen. Nach dem Zusammenbruch am Ende des Zweiten Welt-
krieges und im beginnenden Wiederaufbau stellte sich die Frage nach den
Organisationsprinzipien der Universität und dem Verhältnis von Staat
und Universitäten neu. Das Interesse an den Universitätsreformen Thuns
kam insofern nicht von ungefähr und die Suche nach historischen Vorbil-
dern ist daher verständlich. In diesem Sinne ist auch Richard Meisters213
Rektoratsrede von 1949 nicht allein dem 100-Jahr-Jubiläum der Reformen
geschuldet. Meister betonte in seiner Rede die Lehr- und Lernfreiheit und
die Verpflichtung der Universitäten auf Wahrheit und (reine) Wissenschaft
(„Reinheit des Wollens“) als die wesentlichen Elemente der Universität.
Thun und seine Mitarbeiter wähnte er als Vorkämpfer dieser Prinzipien in
Österreich.214 Meister vollzog damit einen Rückgriff auf ‚Tugenden‘ die weit
entfernt von nationalsozialistischer Ideologie waren und eine Indienstnahme
von Wissenschaft für irgendeinen missbräuchlichen Zweck diskreditier-
ten.215 Der öffentliche Rückgriff auf Thun, parallel etwa zu einem Rückgriff
auf Humboldt in Deutschland216, erscheint daher konsequent, zumal zu die-
sem Zeitpunkt „die ‚Legende‘ vom objektiven Grafen Thun“ (Lhotsky) noch
Geltung hatte. Dass Thun allerdings selbst eine gewisse Indienstnahme der
Universitäten angestrebt hat, ist dabei die Ironie der Geschichte. Daneben
kommt dem Rückgriff auf Thun und der Betonung seines Verdiensts zu die-
sem Zeitpunkt auch eine andere wichtige Rolle zu, nämlich der Akzentuie-
rung eines österreichischen Modells. Nach acht Jahren der verhängnisvollen
Einheit im Dritten Reich erscheint das ebenso folgerichtig wie typisch für
das Nachkriegsösterreich.217 Die selektive Darstellung Thuns von Richard
Meister ist dabei vergleichbar mit seiner verzerrenden Beschreibung der
Geschichte der Akademie der Wissenschaften während der Jahre des Na-
213 Richard Meister (Znaim 1881–1964 Wien), Philologe, ab 1918 ao. Prof. für klassische Phi-
lologie an der Universität Graz, ab 1920 ao. Prof. an der Universität Wien, ab 1923 o. Prof.
für Pädagogik, ab 1938 wieder Prof. für klassische Philologie, ab 1945 Prof. für Pädago-
gik und Kulturphilosophie an der Universität Wien, 1945 Vizepräsident der Akademie der
Wissenschaften, 1951 deren Präsident.
214 meister, Die Universitätsreform des Ministers Graf Thun-Hohenstein, S. 95–98.
215 Vgl. dazu bereits Fritz feLLner, Restauration oder Fortschritt, in: Heinz Fischer (Hg.),
Versäumnisse oder Chancen. Beiträge zur Hochschulfrage in Österreich, Wien, Hannover
1967, S. 11–28, hier S. 13–14.
216 Rüdiger vom BrucH, Langsamer Abschied von Humboldt? Etappen deutscher Universitäts-
geschichte 1820–1945, in: Mitchell G. Ash (Hg.), Mythos Humboldt. Vergangenheit und
Zukunft der deutschen Universitäten, Wien, Köln, Weimar 1999, S. 29–57, hier S. 30–31.
217 Erich Leitner, Richard Meister als Universitätshistoriker, in: Elmar Lechner/Helmut
Rumpler/Herbert Zdarzil (Hgg.), Zur Geschichte des österreichischen Bildungssystems.
Probleme und Perspektiven der Forschung, Wien 1992, S. 143–172, hier S. 158 und 170.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Titel
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Untertitel
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Autor
- Christof Aichner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 512
- Schlagwörter
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen