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5.16. DIE BERUFUNG VON AUGUST GEYER NACH INNSBRUCK 323
drei Bewerber. Er hatte seine Studien 1856 in Wien mit dem Doktorat der
Rechte abgeschlossen und konnte anschließend mit einem Reisestipendium
des Ministeriums seine Kenntnisse in Berlin und London vertiefen. Seit
1857/58 lehrte er als Privatdozent österreichisches Strafrecht an der Uni-
versität Prag. Geyer hatte bis zu seiner Bewerbung mehrere Abhandlungen
veröffentlicht, darunter auch eine Schrift zur Lehre der Notwehr, auf deren
Basis er seine Venia erlangt hatte und in welcher er die Herbart’sche Philo-
sophie auf das Strafrecht angewandt hatte.
Die Angelegenheit lag nun beim Ministerium. Bevor es dort allerdings zu
einer Entscheidung kam, versuchte Professor Wildauer auf privatem Wege
die Sache in seinem Sinne zu beeinflussen. Er schrieb am 4. Februar näm-
lich an Josef Fessler in Wien und bat diesen, „den bereits dem Ministerium
vorliegenden Antrag, der meine innigen Wünsche enthält, gütigst unterstüt-
zen zu wollen“776. Wildauer berief sich dabei auch auf die Zustimmung des
Statthalters Erzherzogs Karl Ludwig.777 In dem Brief erfahren wir auch noch
einiges dazu, warum die Trennung der Lehrkanzel aus der Sicht von Moy,
Wildauer und der Fakultät notwendig war: Die Bewerber, allen voran der
erstgereihte Indermauer, hatten sich nämlich nur für das Strafrecht bewor-
ben und daher sei zu befürchten, dass die Rechtsphilosophie zu einem bloßen
Nebenfach degradiert werden würde.
Eine Vereinigung der Rechtsphilosophie mit der philosophischen Kanzel, der
sie ihrer Natur nach angehört, hätte meines Erachtens auch den Vortheil,
die philosophischen Vorlesungen überhaupt den Juristen näher zu bringen
und ihre Theilnahme noch bedeutend zu steigern. Und gut dürfte es jedenfalls
sein, wenn sie nicht bloß lederne Beetstudenten bleiben, sondern sich auch an-
gelegentlicher und allgemeiner um das Höhere kümmerten. Wird die Rechts-
philosophie einem Professor des Strafrechts mit in den Kauf gegeben, so ist
wohl fast 100 auf 1 zu setzen, daß sie die Rolle eines ‚Nebenfaches‘ spielt, und
daß das alte Zeiller’sche Naturrecht (diese noch kahler gemachte Kant’sche
Rechtslehre mit einigen römischchristlichen Fragmenten ausgestopft) wieder
auf die Katheder stiege. Was damit geleistet wäre in einer Zeit, wo die Rechts-
begriffe mehr als je ins Schweben gerathen und Pfiffigkeit und momentane
Gewalt sich an die Stelle des Themis setzen, ist leicht einzusehen.778
776 Wildauer an Fessler, Innsbruck 04.02.1860, Nachlass Fessler 8, Diözesanarchiv St. Pölten.
777 Wildauer hatte im November 1859 eine vielbeachtete Rede bei der Schillerfeier in Inns-
bruck gehalten und bei der Überreichung eines gedruckten Exemplars dieser Rede
hatte ihn der Statthalter in seinem Ansinnen bestärkt. Wildauer an Fessler, Innsbruck
04.02.1860, Nachlass Fessler 8, Diözesanarchiv St. Pölten.
778 Wildauer an Fessler, Innsbruck 04.02.1860, Nachlass Fessler 8, Diözesanarchiv St. Pölten.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Titel
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Untertitel
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Autor
- Christof Aichner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 512
- Schlagwörter
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen