Seite - 18 - in Unser Vaterland - Steiermark und Kärnten
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, H Steiermark.
da könnten sich heute Gemsen nnd Steinadler heimisch niederlassen, wenn sie sich miteinander vertrügen. Alljährlich
sinkt die Ttarrniß tiefer nnd tiefer nieder vou den Höhen. Wir wandern stellenweise über körnigen Schnee gegen
das „goldene Bründel", ans welchem aber glücklicher Weise nicht eitel Gold, sondern frisches Wasser auillt zur gesegneten
Labe. Wir gelangen an den sogenannten Edelsteig. der aber seinen Namen nicht verdient, er führt über knorzige?
Geschroffe hinan nnd am besten ist''?, man vergißt sein Menschenthnm und wandert auf allen Vieren. Wir rasten
nnd sehen jetzt an der gegenüberliegenden Tradwand wieder jenen magischen Schein, wie er Abends an den Wänden
der Mitteralpc gelegen. Es tagt. — Eine Stunde später sind wir anf dem Hochbodcn der Samstatt, über welcheu
nnu der Fußsteig jenseits hinab gegen Weichselboden führt. So stoßen wir nun mit nnserer planmäßigen Ronte
zusammen nnd steigen weiter aufwärts. Die Steige sind hier nnr durch Steinhänfchen angedeutet, die, wenige Klafter
von einander entfernt, hin und hin die Merkzeichen bilden. Wer ein solches, zumeist anf glatten Klötzen zusammen-
gelegtes Hänfchcn nicht bemerkt, der kann von der Richtung abirren, nnd im Nebelwetter mag ihm diese Verirrung
leicht das Leben tosten. — Schärfer nnd schärfer zeichnen sich nun die Höhen nnd Zinnen in dem sich immermehr
lichtenden Morgrnhimmel, nnd possirlich ist es zn sehen, wie auf solch scharfen Linien die Gemsen sachte hin nnd
wieder gehen. Echt es, wie jetzt zwei Gcmslcin, unser ansichtig werdend, wie der Wind über das steile Schncckar
hinnbsansen?
Die Vegetation ist hier im Versterben. Das flammende Kohlröschen, die zarten Blütenzapfen des Speik,
die goldkronigc Arnika, die blauen Frcudcnkclche der Enziane, selbst die zarte Flocke des Edelweiß — alle sind zurück-
geblieben nuten an der Fölz, in der Tnllwitz. Nur das blauäugige Vergißmeinnicht ist einschmeichelnd mit nns
heraufgestiegen, stetig bittend, daß wir in dieser majestätischen Herrlichkeit auch seiner grünen Heimat, der lieblichen
Wiesenflnr. nicht ganz möchten vergessen, auf deren Blumeuteppichen wir am Arm eines geliebtesten Wesens sonst so
gerne gewandelt wären.
Endlich kommen wir — an der Kuppe d»? Klcinschwab vorüber — der letzten Höhe zu, derselben, die über
alle Berge hinansblaut in das Zellerthal. wo die hölzerne Hand nach ihr weist. — Mit jedem Schritt, den wir
hier machen, dehnt sich weiter nnd weiter vor nnserem Auge der Ring der Alpen. In den Thälern liegt noch der
Schatten der Nacht, auf allen Höhen blüht das Morgenroth. — Schon sind wir dem Ziele auf hundert Schritte
nahe. Heller und heller wird die Glut im Osten, da bricht in gewaltiger Flamme die Sonne hervor und fichc —
nun liegt e?, wie ein Regcnbogcnkranz über dem ganzen Horizonte, von Ost über Süd und Nord nach West; der
Unser Vaterland
Steiermark und Kärnten
- Titel
- Unser Vaterland
- Untertitel
- Steiermark und Kärnten
- Autoren
- Peter.K. Rosegger
- Fritz Pichler
- A. von Rauschenfels
- Verlag
- Gebrüder Kröner
- Ort
- Stuttgart
- Datum
- 1877
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 28.1 x 42.23 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Wandern
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918