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würde ich mit etwas Geld von mir diese Unterlassung ungeschehen machen!
Denn erstens schäme ich mich ein wenig, nicht zu wissen, in welchem Meere
die Insel liegt, von der ich so viel zu berichten weiß; sodann aber gibt es bei
uns den einen und den anderen, vor allem aber einen frommen Theologen von
Beruf, der darauf brennt, Utopia zu besuchen, nicht aus eitlem und
neugierigem Verlangen, Neues zu sehen, sondern um die verheißungsvollen
Keime unserer Religion dort zu pflegen und noch zu vermehren. Um dabei
ordnungsgemäß zu verfahren, hat er beschlossen, sich vorher einen
Missionsauftrag vom Papste zu verschaffen und sich von den Utopiern sogar
zum Bischof wählen zu lassen. Dabei stört es ihn durchaus nicht, daß er sich
um dieses Vorsteheramt erst bewerben müßte. Allerdings ist sein Ehrgeiz, wie
er meint, deshalb gottgefällig, weil er nicht durch Rücksicht auf Ehre oder
Gewinn, sondern durch Rücksicht auf die Religion bedingt ist.
Deshalb wende Dich, mein Peter, ich bitte Dich darum, entweder mündlich,
wenn es Dir ohne Umstände möglich ist, oder brieflich an Hythlodeus und
sorge dafür, daß in diesem meinen Werke nichts Falsches steht oder nichts
Wahres vermißt wird. Und vielleicht ist es besser, ihm das Buch selbst zu
zeigen. Einerseits nämlich ist niemand anders ebenso imstande, einen
etwaigen Irrtum zu berichtigen, anderseits kann er das selbst auch nur, wenn
er durchliest, was ich geschrieben habe. Außerdem wirst Du auf diese Weise
merken, ob er damit einverstanden ist, daß ich dieses Buch schreibe, oder ob
er ärgerlich darüber ist. Falls er sich nämlich vorgenommen hat, seine
Abenteuer selbst aufzuzeichnen, so möchte er vielleicht nicht – und ich
bestimmt auch nicht –, daß ich ihm Duft und Reiz seiner Erzählung im voraus
wegnehme, indem ich den Staat Utopia allgemein bekanntwerden lasse.
Allerdings bin ich, wenn ich ganz offen sein soll, auch mir selber noch nicht
recht im klaren, ob ich das Buch überhaupt erscheinen lasse. Denn der
Geschmack der Menschen ist so verschieden, und manche sind so
eigensinnig, so undankbar und so unsinnig in ihrem Urteil, daß offenbar die
Leute viel glücklicher sind, die in Freude und Frohsinn ihr eigenes Ich
befriedigen, als diejenigen, die sich zermürben in dem Bestreben, etwas zu
veröffentlichen, was für andere, die wählerisch oder undankbar sind, ein
Nutzen oder ein Vergnügen sein könnte. Die meisten haben keinen Sinn für
literarische Dinge; viele verachten sie; ein Barbar lehnt alles als schwer ab,
was nicht gänzlich barbarisch ist; gelehrte Pedanten verschmähen alles als
abgegriffen, was nicht von veralteten Ausdrücken strotzt; manchen gefällt nur
das Alte, den meisten nur das eigene Wissen. Dieser ist so mürrisch, daß er
von Scherzen nichts wissen will, dieser wieder so fade, daß er keine Witze
verträgt; manche sind so plattnasig, daß sie jedes Naserümpfen scheuen wie
ein von einem tollen Hund Gebissener das Wasser, andere wieder sind so
wetterwendisch, daß sie im Sitzen etwas anderes gelten lassen als im Stehen.
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Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik