Seite - 26 - in Utopia
Bild der Seite - 26 -
Text der Seite - 26 -
»Wer viel würfelt, hat auch einmal Glück.« Da meinte einer von den
Tischgenossen, ich hätte mit meiner Rede gut für die Diebe gesorgt und der
Kardinal auch noch für die Landstreicher; nun bleibe nur noch übrig, von
Staats wegen auch noch die zu versorgen, die durch Krankheit oder Alter in
Not geraten und arbeitsunfähig geworden seien. »Laß mich das machen!« rief
da der Spaßvogel. »Ich will auch das in Ordnung bringen! Denn es ist mein
sehnlicher Wunsch, mich vom Anblick dieser Sorte Menschen irgendwie zu
befreien. Mehr als einmal sind sie mir schwer zur Last gefallen, wenn sie
mich mit ihrem Klagegeheul um Geld anbettelten. Niemals jedoch konnten
sie das schön genug anstimmen, um auch nur einen Pfennig von mir zu
erpressen. Es ist bei mir nämlich immer das eine von beiden der Fall:
entweder habe ich keine Lust, etwas zu geben, oder ich habe nicht die
Möglichkeit dazu, weil ich nichts zu geben habe. Infolgedessen werden die
Bettler jetzt allmählich vernünftig. Um sich nämlich nicht unnötig
anzustrengen, reden sie mich gar nicht mehr an, wenn sie mich vorübergehen
sehen. So wenig erhoffen sie von mir noch etwas, in der Tat nicht mehr, als
wenn ich ein Priester wäre. Aber jetzt befehle ich, ein Gesetz zu erlassen, dem
zufolge alle jene Bettler ohne Ausnahme auf die Benediktinerklöster verteilt
und zu sogenannten Laienbrüdern gemacht werden; die Weiber aber, ordne
ich an, sollen Nonnen werden.«
Da lächelte der Kardinal und stimmte im Scherz zu, die anderen dann auch
im Ernst. Indessen heiterte dieser Witz über die Priester und Mönche einen
Theologen, einen Klosterbruder, so auf, daß er, sonst ein ernster, ja beinahe
finsterer Mann, jetzt gleichfalls anfing, Spaß zu machen. »Aber auch so«, rief
er, »wirst du die Bettler nicht loswerden, wenn du nicht auch für uns
Klosterbrüder sorgst!«
»Aber das ist doch schon geschehen«, erwiderte der Parasit. »Der Kardinal
hat ja vortrefflich für euch gesorgt, indem er für die Tagediebe Zwangsarbeit
festsetzte; denn ihr seid doch die größten Tagediebe.«
Da blickten alle auf den Kardinal. Als sie aber sahen, daß er auch diese
Bemerkung nicht zurückwies, fingen sie alle an, sie mit großem Vergnügen
aufzunehmen; nur der Klosterbruder machte eine Ausnahme. Der nämlich,
mit solchem Essig übergossen, geriet dermaßen in Zorn und Hitze – worüber
ich mich auch gar nicht wundere –, daß er sich nicht mehr beherrschen konnte
und zu schimpfen anfing. Er nannte den Menschen einen Taugenichts, einen
Verleumder, einen Ohrenbläser und ein Kind der Verdammnis und führte
zwischendurch schreckliche Drohungen aus der Heiligen Schrift an. Jetzt aber
begann der Witzbold ernsthaft zu spaßen, und da war er ganz in seinem
Element. »Zürne nicht, lieber Bruder!« sagte er. »Es steht geschrieben:
›Durch standhaftes Ausharren sollt ihr euch das Leben gewinnen.‹« Darauf
26
zurück zum
Buch Utopia"
Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik