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erwiderte der Klosterbruder – ich will nämlich seine eigenen Worte
wiedergeben –: »Ich zürne nicht, du Galgenstrick, oder ich sündige
wenigstens nicht damit. Denn der Psalmist sagt: ›Zürnt und sündigt nicht!‹«
Darauf ermahnte der Kardinal den Klosterbruder in sanftem Tone, sich zu
mäßigen. Doch der antwortete: »Herr, ich spreche nur in redlichem Eifer, wie
ich es tun muß. Denn auch heilige Männer haben einen redlichen Eifer
bewiesen, weswegen es heißt: ›Der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt‹.
Und in den Kirchen singt man:
›Die Spötter Elisas,
Während er hinaufsteigt zum Hause Gottes,
Bekommen den Eifer des Kahlkopfs zu spüren‹,
wie ihn vielleicht auch dieser Spötter da, dieser Possenreißer, dieser Bruder
Liederlich noch zu spüren bekommen wird.«
»Du handelst vielleicht in ehrlicher Erregung«, sagte der Kardinal, »aber
mir will scheinen, es würde möglicherweise frömmer, bestimmt aber klüger
von dir sein, wenn du nicht mit einem törichten und lächerlichen Menschen
einen lächerlichen Streit beginnen wolltest.«
»Nein, Herr, das würde nicht klüger von mir sein«, erwiderte er. »Sagt doch
selbst der weise Salomo: ›Antworte dem Narren gemäß seiner Narrheit!‹, wie
ich es jetzt tue und ihm die Grube zeige, in die er fallen wird, wenn er nicht
recht auf der Hut ist. Wenn nämlich die vielen Spötter Elisas, der doch
nur ein Kahlkopf war, den Eifer des Kahlkopfes zu spüren bekommen haben,
um wieviel mehr wird ein einziger Spötter den Eifer der vielen Klosterbrüder
zu spüren bekommen, unter denen sich doch viele Kahlköpfe befinden! Und
außerdem haben wir ja noch eine päpstliche Bulle, auf Grund deren alle, die
sich über uns lustig machen, der Kirchenbann trifft.«
Sobald der Kardinal sah, daß der Streit kein Ende nehmen wollte, gab er
dem Schmarotzer einen Wink, sich zu entfernen, und brachte die Rede auf ein
anderes Thema, das auch Anklang fand. Bald darauf stand er von der Tafel
auf, entließ uns und widmete sich seinen Lehnsleuten, deren Anliegen er sich
anhörte.
»Sieh da, mein lieber Morus, wie lang ist doch die Geschichte geworden,
mit der ich dich belästigt habe! Ich hätte mich entschieden geschämt, so
ausführlich zu werden, wenn du es nicht dringend zu wissen verlangt hättest
und wenn es mir nicht den Eindruck gemacht hätte, als wolltest du auch
nicht ein Wort von jenem Gespräch ausgelassen wissen; mit solcher
Aufmerksamkeit hörtest du mir zu. Ich mußte dies jedoch alles erzählen –
freilich hätte es wesentlich kürzer geschehen können –, um die
Urteilsfähigkeit dieser Leute ins rechte Licht zu rücken: wovon sie nämlich
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Utopia
- Titel
- Utopia
- Autor
- Thomas Morus
- Datum
- 1516
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 106
- Schlagwörter
- Utopie, Staat, Religion
- Kategorien
- Weiteres Belletristik